“Gut, dass ich mich getraut habe!”
LWL-Klinik Marl-Sinsen bietet therapeutische Hilfe auf spezieller Eltern-Kind-Station

Marl-Sinsen (lwl). Bevor Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern in die LWL-Klinik Marl-Sinsen kommen, haben sie häufig einen langen Leidensweg hinter sich. So wie Svenja Schulz und ihr Sohn Nils (Namen geändert). Auf der speziellen Eltern-Kind-Station der Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) finden die beiden Hilfe.

Nils fällt im Kindergarten immer wieder durch aggressives Verhalten auf. Er schmeißt Sachen durch den Gruppenraum, wird handgreiflich. Auch zu Hause kommt es häufig zu aggressiven Ausbrüchen. Der Fünfjährige schlägt, tritt und beißt seine Mutter. Eineinhalb Jahre hält Svenja Schulz dieses Verhalten aus, hofft auf Besserung, darauf, dass sich das “rauswächst”. Dann beschließt sie, auch auf Anraten des Kindergartens, sich Hilfe zu holen. Ein niedergelassener Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeut empfiehlt schließlich die Aufnahme in der Marler LWL-Fachklinik.

Für Dr. Carolin Wilker, Oberärztin auf der Eltern-Kind-Station, ist Nils kein Einzelfall: “Wir sehen hier häufig Kinder, die eine sehr geringe Frustrationstoleranz mitbringen, sich nicht an Regeln halten, schnell wütend und dann auch aggressiv werden, sowohl verbal als auch körperlich.” Andere können sich nicht von ihren Eltern trennen, sind übermäßig schüchtern, sprechen nicht in der Öffentlichkeit, leiden unter Ängsten, Schlaf- oder Fütterstörungen und manchmal auch unter den psychischen Auswirkungen einer Gewalterfahrung. Eines ist fast allen gemein: ihre Erkrankung bringt das Familiengefüge an seine Belastungsgrenze. Um den jungen Patient:innen eine professionelle Therapie zu ermöglichen und das familiäre Umfeld wieder in Einklang zu bringen, bietet die LWL-Klinik Marl-Sinsen engen Bezugspersonen an, die Kinder in die stationäre Therapie zu begleiten. Dazu stellt die LWL-Fachklinik vier spezielle Apartments für Kinder im Alter von fünf Monaten bis zum achten Geburtstag und deren Begleitpersonen zur Verfügung.

“Durch den gemeinsamen Aufenthalt bei uns bekommen wir die Konflikte und Probleme live mit, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, und können reagieren”, erklärt Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Simone Koch. Zur Behandlung gehören auch spezielle Therapien wie die Tiergestützte Therapie, Kunsttherapie, Sporttherapie oder Entspannungsgruppen. “Wir nehmen hier bewusst Eltern mit ins Boot”, so Koch. “Einige Mütter oder Väter fühlen sich schuldig und können ihre Sprösslinge überhaupt nicht mehr positiv wahrnehmen.” In therapeutisch angeleiteten Elterngruppen lernen die Betroffenen, dass sie nicht alleine sind. Ein videogestütztes Coaching richtet ihren Fokus wieder auf die positiven Aspekte in ihrer Beziehung.

Normalerweise dauert die Therapie sechs bis acht Wochen. Danach schließt sich meistens eine ambulante Maßnahme an. Das kann eine Therapie, eine Begleitung durch das Jugendamt oder eine Integrationshilfe für die Schule sein.

Svenja Schulz und ihr Sohn Nils haben es geschafft. Nils’ Ausbrüche sind wesentlich seltener geworden. Sie waren häufig seinem mangelnden Selbstwertgefühl geschuldet. Nils hat gelernt, seine Bedürfnisse mitzuteilen, sich selbst wertzuschätzen und Konflikte ohne Gewalt auszutragen. Seine Mutter weiß jetzt, wie sie in kritischen Situationen gelassen reagieren und wie sie ihren Sohn in seiner Entwicklung unterstützen kann. Anfangs war Svenja Schulz noch skeptisch, ob diese Therapie helfen kann. Jetzt ist die 45-Jährige erleichtert: “Damit habe ich nicht gerechnet, dass das so gut klappt. Gut, dass ich mich getraut habe!”

Auch Dr. Carolin Wilker ist überzeugt davon, dass dieses Konzept mit dem auch räumlich engen Einbezug der Bezugspersonen aufgeht. Der Bedarf ist groß – deshalb werden bald zwei weitere Eltern-Kind-Apartments in der LWL-Klinik Marl-Sinsen eingerichtet.

Hintergrund
Seit 2015 gibt es die Eltern-Kind-Station in der LWL-Klinik Marl-Sinsen. Seitdem ist sie dauerhaft mit vier Familien belegt. Der Einweisung geht in der Regel ein Besuch bei einem Kinderarzt oder einer Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutin voraus. Mit einer Überweisung können Eltern mit ihren Kindern die Kleinkind-Ambulanz der LWL-Klinik Marl-Sinsen aufsuchen (Tel.: 02365-802 3313). Hier wird gemeinsam entschieden, ob eine ambulante Therapie oder ein stationärer Aufenthalt notwendig sind. Beides erfolgt möglichst zeitnah.

Beim sogenannten “Marte-Meo-Coaching” werden zum Beispiel Spielsituationen von Eltern und Kindern mit einer Videokamera aufgezeichnet und anschließend gemeinsam mit der Bezugsperson und einer Marte-Meo-Therapeutin, mit Blick auf positive Aspekte innerhalb der Aufzeichnung, angesehen. Das kann zum Beispiel ein Blickkontakt oder auch ein Lächeln sein.

 

Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit mehr als 18.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.