Herzkrank in der Pandemie – nichts ersetzt den Arzttermin

 Wie unter einem Brennglas hat die COVID-Pandemie verdeutlicht, dass die engmaschige und sorgfältige Versorgung von Herzpatient*innen von enormer Bedeutung ist – nicht nur für die Lebensqualität der Erkrankten, sondern vor allem auch für ihr Überleben. Die Anzahl der Arztbesuche ging zurück, geplante Eingriffe mussten verschoben werden und weniger Patient*innen suchten die Notaufnahmen auf. In Folge stieg die Sterblichkeit aufgrund von Herzkreislauf-Erkrankungen an. Umso wichtiger ist es nun, alle verpassten Untersuchungen nachzuholen. Zwei Betroffene berichten von ihren Erlebnissen als Herzkranke während der Pandemie.

 Düsseldorf, 6. Juni 2021 – Kaum eine andere Vorerkrankung erhöht das Sterberisiko von COVID-19-Patienten so sehr wie eine chronische Herzschwäche, auch Herzinsuffizienz genannt. An ihr leiden 20 Prozent der im Krankenhaus behandelten COVID-19-Erkrankten. Auch Patientinnen und Patienten mit Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck oder Herzklappenerkrankungen sind einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt, an COVID-19 zu versterben als andere Personengruppen.

 

Deutliche Übersterblichkeit bei Herzschwäche

 Doch dies ist nicht das einzige Problem, mit dem Herzerkrankte in den letzten anderthalb Jahren konfrontiert waren. „Wir mussten leider beobachten, dass an Herzinsuffizienz erkrankte Patient*innen im letzten Jahr von einer deutlichen Übersterblichkeit betroffen waren, auch wenn sie nicht an COVID erkrankt waren“, sagt Prof. Dr. Stephan Baldus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK). Eine amerikanische Studie stellte fest, dass die Krankenhauseinweisungen wegen Herzinsuffizienz um 35 Prozent zurückgingen. In Deutschland ist die Situation vergleichbar. Dies lässt sich auch in anderen kardiologischen Bereichen feststellen. Ebenfalls um 35 Prozent sank während des ersten Lockdowns in Hessen die Zahl der Kathetereingriffe. Die kardiale Sterblichkeit nahm in gleichen Zeitraum um 12 Prozent zu.

 

Aufklärung kann Leben retten

 Experten der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie gehen von einer Vielzahl von Gründen für diese besorgniserregende Entwicklung aus. Beigetragen hätten beispielsweise die Verschiebung von geplanten kardiologischen Prozeduren, die Angst der Patient*innen vor einer Ansteckung mit dem neuen Corona-Virus im Krankenhaus oder die Sorge, ein ohnehin schon überlastetes Gesundheitssystem weiter zu belasten. So ging es auch Heike M. aus Köln. Die 60-jährige erlitt im April 2021 einen Herzinfarkt, suchte aber erst über 12 Stunden nach Symptombeginn das Krankenhaus auf. Im Rahmen der neuen DGK-Kampagne berichten sie und andere Herzpatient*innen über ihre Erfahrungen als Herzkranke und wie sie während der Pandemie damit umgegangen sind.

 „Es ist uns Kardiolog*innen besonders wichtig, unsere Patientinnen und Patienten sowohl in Notfallsituationen als auch zu Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen in den Praxen und Krankenhäusern zu sehen“, so Baldus. „Herzerkrankungen verschlimmern sich häufig unbemerkt, bis es zum möglicherweise folgenschweren Notfall kommt. Die Erkrankungen auf die leichte Schulter zu nehmen, ist lebensgefährlich.“ Die DGK klärt daher in der Kampagne „Wofür schlägt dein Herz“ über die Gefahren von Herzerkrankungen und zeigt auf, warum rechtzeitige und regelmäßige Arztbesuche gerade für Herzerkrankte so wichtig sind.

 

Patient*innen berichten von ihren Erfahrungen in der Pandemie

Herzkrank in der Pandemie

Als Heike M. aus Köln im April 2021 mit starken Rückenschmerzen aufwacht, denkt sie zunächst nicht an einen Herzinfarkt. Wertvolle Zeit vergeht, bevor die zuvor gesunde 60jährige in ärztlicher Behandlung ist. Auch Gerhard Artmann bemerkt von seiner Herzerkrankung zu Beginn nichts – bis sein Hausarzt bei der Vorsorgeuntersuchung ein beunruhigendes Herzgeräusch entdeckt. Zwei Be- troffene berichten von ihrem Leben mit einer Herzerkrankung vor und während der Pandemie.

Heike M. (60) aus Köln

„Ich hätte mich nie in der Gruppe der Herzerkrankten gesehen“, berichtet Heike M. Die sportliche, schlanke Physiotherapeutin aus Köln hatte vor dem 21. April nie Probleme mit dem Herzen. „Zuge- geben habe ich bis vor drei Jahren geraucht, was auf jeden Fall ein Risikofaktor ist, aber ich war im- mer fit und leistungsfähig und auch in meiner Familie gibt es keine bekannten Herzerkrankungen“, erzählt sie. Von einem Tag auf den anderen ändert sich ihr Leben. Zwar verspürt sie eines Abends einen leichten Druck in der Brust, misst dem aber nicht viel Bedeutung bei und verbringt einen net- ten Abend bei einer Freundin. Am nächsten Morgen wacht sie von stechenden Rückenschmerzen auf. Sie merkt sofort dass etwas nicht stimmt und misst sogar ihren Blutdruck. Da dieser vollkom- men normal ist, schließt sie aber ein Herzgeschehen aus und vermutet einen eingeklemmten Nerv. Aufgrund der starken Schmerzen sucht sie Hilfe bei ihren Nachbarn, die beide Ärzte sind, und dann auch den Rettungsdienst verständigen, der sie in die Notaufnahme der Kardiologie der Uniklinik Köln bringt.

Prof. Dr. Stephan Baldus, Direktor der dortigen kardiologischen Klinik, behandelt Heike M. an diesem Tag. „Leider ist es nicht ungewöhnlich, dass Frauen bei einem Herzinfarkt verspätet ins Kranken- haus kommen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen deutlich länger brauchen, bis sie nach einem Herzinfarkt ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, als das bei Männern der Fall ist“, beschreibt der Kardiologe. Die Symptome eines Herzinfarktes sind bei Frauen häufig anders als bei Männern. Die typischen Symptome wie Schmerzen im linken Arm, Luftnot und Engegefühl in der Brust sind bei Frauen meist weniger ausgeprägt oder treten sogar gar nicht auf. „Hinzu kommt, dass wir bei den Patient*innen hier in Köln gesehen haben, dass im Rahmen der Pandemie deutlich mehr Zeit vergeht, bevor von einem Herzinfarkt Betroffene den Rettungsdienst rufen“, erzählt Baldus. Das hat vermutlich unterschiedlichste Beweggründe: die Angst, sich im Krankenhaus mit Corona anzuste- cken, ein Verkennen der Symptome und der Gedanke, die überlasteten Kliniken nicht weiter zu be- anspruchen.“ So war es auch bei Heike M. Sie scheute sich davor, das Krankenhaus mit einer ver- meintlichen Lappalie wie Rückenschmerzen aufzusuchen, erst recht nicht während einer Pandemie. „Es war noch nicht einmal die Angst, mich anzustecken“, beschreibt sie. „Ich war zu diesem Zeit- punkt schon zweifach geimpft. Ich habe schlicht die Verhältnismäßigkeit falsch eingeschätzt und die Situation nicht ernst genug genommen.“

Ein Fehler, den sie heute nicht noch einmal machen würde, da ist sie sich sicher. Dass Herzinfarkt- patient*innen so schnell wie möglich behandelt werden, ist vor allem deswegen wichtig, weil mit je- der Minute, die vergeht, ohne dass das Herz richtig durchblutet wird, der Schaden am Herzmuskel größer wird und die Wahrscheinlichkeit von Spätfolgen zunimmt. Bis Heike M. nach Auftreten der ersten Symptome in der Klinik ein Stent eingesetzt und damit die Durchblutung des Herzens wieder hergestellt werden konnte, vergingen mehr als 12 Stunden. Die Narbe an ihrem Herzmuskel wird bleiben und damit auch eine leichte Herzinsuffizienz. Ihr Herz kann wegen des geschädigten Gewe- bes nun nicht mehr ganz so viel Blut durch den Kreislauf pumpen wie zuvor.Einschränkungen verspürt die aktive Kölnerin im Alltag zur Zeit glücklicherweise nicht und die Medi- kamente verhindern, dass sich die Pumpleistung des Herzens weiter verschlechtert. „Ich spüre die Einschränkung im Moment nicht und kann auch ganz normal Sport machen“, sagt sie erleichtert. „Das Leben hat sich aber auf jeden Fall verändert. Ich habe jetzt nun einmal eine chronische Er- krankung, das lässt sich nicht mehr ändern. Ich gehe daher alles ein bisschen langsamer und be- wusster an als früher. Aber vieles werde ich auch nicht verändern. Ich bin immer gerne gereist, bin lebenslustig und habe viel unternommen. Das wird auch so bleiben.“

Gerhard Artmann (70) aus Aachen

Kurz vor einem geplanten Paddelurlaub hat Gerhard Artmann noch einen Check Up-Termin bei sei- nem Hausarzt. Routine für den damals 63jährigen. Er fühlt sich fit und gesund, kann über keine Be- schwerden klagen. Als er seinem Arzt von einem kurzen Ohnmachtsanfall sowie gelegentlichem Herzstolpern erzählt, ist er daher völlig überrascht, dass dies auf einen möglichen Herzklappende- fekt hinweisen könnte. Sein Arzt rät ihm, sich in der Uniklinik Aachen von Kardiolog*innen genauer untersuchen zu lassen. Im Herzultraschall zeigt sich, dass Gerhard Artmann unter einer Aortenklap- penstenose, das heißt einer deutlich verkalkten Aortenklappe leidet. Diese Erkrankung kann sich wie bei Gerhard Artmann erstmalig mit Beschwerden wie Schwindel unter Belastung oder Ohn- machtsanfällen äußern, ebenso aber auch mit einer langsam fortschreitenden Leistungseinschrän- kung. Zudem verändert sich der Blutstrom und kann dadurch zu einer Überdehnung der Haupt- schlagader führen. Dabei kann es im fortgeschrittenen Stadium insbesondere bei körperlicher An- strengung zu einem plötzlichen Riss der Aorta kommen. Ein meist tödliches Ereignis, da selbst ein Notfalltransport ins Krankenhaus in einem solchen Fall zu lange dauert.

Doch Gerhard Artmann hat Glück. „Ich habe meinen Paddelurlaub abgesagt, weil mir von sportli- cher Betätigung ab sofort dringend abgeraten wurde“, erzählt der emeritierte Biophysik-Professor. „Eine Woche später lag ich im Krankenhaus und wurde operiert.“ Gerhard Artmann erhält eine künstliche Aortenklappe und auch ein Stück seiner Aorta wird durch eine Prothese ersetzt. Im Nach- gang zur Operation wird Gerhard Artmann außerdem ein Herzschrittmacher eingesetzt.

Seitdem gehören regelmäßige Kontrolluntersuchungen zu seinem Leben dazu, auch während der Pandemie. „Im letzten Jahr hatte ich natürlich den Gedanken ‚Am Liebsten würdest du jetzt nicht zum Arzt gehen‘, weil ich mich schon ein wenig unwohl dabei gefühlt habe“, gibt er zu. „Aber dann habe ich mir gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ich an meiner Herzerkrankung versterbe, weil sie sich unbemerkt verschlechtert haben könnte, ungleich größer ist, als an Corona zu verster- ben. Und eine Weile möchte ich meiner Frau, meinen Kindern und Enkelkindern schon noch erhal- ten bleiben.“

„Glücklicherweise hatten die meisten unserer Patient*innen genug Vertrauen und haben auch wäh- rend der Pandemie die notwendigen Verlaufskontrollen beibehalten.“ kann Priv.-Doz. Dr. Corinna Lebherz berichten. Die Kardiologin betreut am Universitätsklinikum Aachen zahlreiche Herzer- krankte, unter anderem auch Gerhard Artmann. „Leider können wir aber auch von Patient*innen be- richten, die im Rahmen der Pandemie nicht oder nur sehr zögerlich zu ihren notwendigen Kontroll- untersuchungen gekommen sind. Mit diesen Erkrankten versuchen wir, telefonisch oder digital in Kontakt zu bleiben und hoffen natürlich sehr, dass sie sich bei einer Verschlechterung der klini- schen Symptome möglichst unmittelbar mit uns in Verbindung setzen, um mögliche Folgeprobleme frühzeitig erkennen und adressieren zu können“

Für Gerhard Artmann wäre es ganz und gar unvorstellbar, seine Termine schleifen zu lassen. Der heute 70-jährige ist sich durchaus bewusst, dass er möglicherweise nicht mehr leben würde, wäre seine Herzerkrankung nicht rechtzeitig bei der Vorsorgeuntersuchung aufgefallen. Penibel aber nicht ängstlich achtet er auch auf die Einhaltung seines Medikamentenplans und ist dankbar, so gut versorgt zu werden. Artmann ist Wissenschaftler und auch Schriftsteller, aber vor allem ist er ein Mensch mit großer Lebensfreude, vor der Erkrankung schon und heute umso mehr. „Jetzt lebe ich ganz ohne Einschränkungen, ganz im Gegenteil, das Leben ist sehr, sehr schön geblieben. Ich pad- delte wieder einmal die Ardèche hinunter mit zirka 15 Stromschnellen und bin dabei sogar noch besser geworden“, sagt er. Nur eines lässt er inzwischen doch bleiben: Als seine Tochter ihn im letzten Jahr hoch oben im Kirschbaum ohne Leiter beim Kirschenpflücken entdeckt hat, musste er ihr versprechen, zumindest aufs Bäume klettern künftig zu verzichten und einen „Experten“ zu be- auftragen.

 

Mehr Erfahrungsberichte von Herzerkrankten finden Sie auf www.herzfitmacher.org.

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit mehr als 11.000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbil- dung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org

Wichtige Informationen für Nicht-Mediziner stellt die DGK auf den Seiten ihres Magazins „HerzFitmacher“ zu- sammen: www.herzfitmacher.de

 

Weitere Erlebnisse von Herzpatientinnen und -patienten stellt die DGK auf https://herzfitmacher.de/ihregeschichte/ zusammen. 

  

i. A. Kerstin Kacmaz

 Deutsche Gesellschaft für Kardiologie
– Herz- und Kreislaufforschung e. V.
German Cardiac Society
 

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Vorstand: Prof. Dr. Stephan Baldus (Präsident) – Prof. Dr. Andreas M. Zeiher – Prof. Dr. Holger Thiele

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