Risiko richtig bewerten

Long Covid bei Kindern und Jugendlichen

Erfahrungen des Chefarztes der Kinderklinik im Helios Klinikum Erfurt

Wer an Corona erkrankt, ist nach der Infektion unter Umständen mit Long Covid und seinen Folgen konfrontiert. Doch noch ist darüber wenig bekannt – und entsprechend groß die Unsicherheit. Zunehmend sorgen sich auch Eltern betroffener Kinder. Prof. Dr. med. Axel Sauerbrey ist Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Helios Klinikum Erfurt und plädiert für einen sachlichen Umgang mit dem Thema: „Wir haben bei uns seit Beginn der Pandemie etwa 90 Covid-Patient:innen im Alter von 0 bis 17 Jahren versorgt – und es waren überwiegend sehr milde Verläufe”. In vielen Fällen handelte und handelt es sich sogar eher um Zufallsbefunde, die dann als Nebendiagnose dokumentiert sind.

 

„Zu Long Covid bei Kindern und Jugendlichen gibt es trotz weltweit mehrerer Millionen dokumentierter Infektionen kaum Studien”, führt Prof. Sauerbrey weiter aus. Entsprechend werde auch die Definition von Long Covid sehr unterschiedlich geführt. In Erfurt geht man bei einer Infektion von bis zu vier Wochen von einer gewöhnlichen Infektion aus. „Was hingegen über diese vier Wochen hinaus geht, definieren wir für uns als Long Covid.” Auffällig sei bei diesen Fällen, dass Kinder mit Vorerkrankungen oder auch Depressionen, eher betroffen sind.

 

Grundsätzlich reagiert jeder Körper anders auf das Virus und entsprechend zeigen auch Kinder und Jugendliche unterschiedliche Symptome. Maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf haben – wie bei Erwachsenen auch – die Vorerkrankungen. „Wird ein Krankenhausaufenthalt notwendig, verbleiben unsere jungen Covid-Patient:innen im Schnitt etwa zwei bis drei Tage in unserer Klinik”, so Prof. Sauerbrey. Schwere Vorerkrankungen können hingegen im Zusammenspiel mit Covid den Krankenhausaufenthalt deutlich verlängern. „Ein Mädchen verbrachte mehr als 180 Tage bei uns”, erinnert sich Prof. Sauerbrey. Zwei junge Patientinnen haben schwerste Verlaufsformen der Infektion durchlebt. „Diese Schicksale haben uns tief bewegt und gezeigt, dass man das Virus nicht unterschätzen darf”, sagt Prof. Sauerbrey. Doch er betont, dass das Einzelschicksale und absolute Ausnahmen waren. „Die meisten unserer Patient:innen bewältigten die Infektion glücklicherweise gut.”

 

Folgen einer Infektion im Kindesalter

Für den Experten steht bei der Behandlung im Vordergrund, diagnostisch sorgfältig abzugrenzen: Sind es organische oder psychische Auswirkungen der Infektion, oder handelt es sich um psychische Auswirkungen der Pandemiemaßnahmen, die von Experten der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt werden müssen. „Covid betrifft ja nicht ausschließlich die Lunge”, verweist Prof. Sauerbrey auf einen weit verbreiteten Irrtum. Es handele sich vielmehr um eine multisystemische Erkrankung mit individuellem Verlauf. „Und das macht eine Verlaufsprognose grundsätzlich eben schwierig.” 

 

Bekannt ist: Nach einer Infektion können Symptome auftreten wie Müdigkeit, Schwindel, Geruchs- und Geschmacksverlust, Muskelschwäche, anhaltender Husten, Atemprobleme, Gliederschmerz, Herzschmerz und chronische Erschöpfung. Auch geschädigte Gefäßwände werden auf das Virus zurückgeführt. Prof. Sauerbrey sieht Parallelen zum Pfeifferschen Drüsenfieber. „Auch hier kann es in Folge der Infektion zu einem chronischen Erschöpfungssyndrom kommen.”

 

Löst das Coronavirus SARS-CoV-2 eine überschießende Immunreaktion aus, sprechen Mediziner von PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome), eine relativ seltene, aber gefährliche Entzündungsreaktion des kindlichen Körpers. Sie zeigt sich etwa zwei bis sechs Wochen nach einer Infektion. Dabei können mehrere Organe betroffen sein. „Kinder reagieren mit Fieber und hohen Entzündungswerten – beispielsweise an Herzmuskel, Leber oder Lunge. Wir behandeln sie medikamentös mit Cortison oder einer Antikörpertherapie über einen Zeitraum von etwa zwei bis drei Wochen”, erklärt Prof. Dr. Axel Sauerbrey. Die Prognose ist trotz der schweren Entzündung gut.

 

Begleiterscheinungen der Pandemie

Grundsätzlich sind übrigens die Zahlen der zu behandelnden Kinder und Jugendlichen mit Ansteckungserkrankungen zurückgegangen. Prof. Sauerbrey führt das auf Lockdowns, Schulschließungen und andere weitreichende Maßnahmen zurück. „Stationäre Behandlungen bedingt durch Durchfall und Grippe gab es zuletzt beispielsweise vergleichsweise wenige”, sagt er. Lediglich eine Welle aufgrund der Erkrankung an RS-Viren (Humanes Respiratorisches Synzytial-Virus) habe es kürzlich gegeben. „Diese Viren sind bei Säuglingen und Kindern bis zu drei Jahren weltweit der häufigste Auslöser akuter Atemwegserkrankungen”, so Prof. Sauerbrey. Eigentlich also nichts Ungewöhnliches. „Aufgrund der genannten Maßnahmen gab es aber ganz offensichtlich viele nichtimmunisierte Kleinkinder, was nach den Aufhebungen von Lockdowns und Kontaktbeschränkungen zu einer Welle an Infektionen führte.”

 

Kinder impfen lassen?

Und wie steht der Experte zum Thema Impfen? Da hat er eine ganz klare Meinung: „Kinderimpfungen sind genauso sicher wie Impfungen für Erwachsene. Ich befürworte sie, aber lediglich unter dem Aspekt, dass Kinder mit Vorerkrankungen besser geschützt sind. Ansonsten sehe ich die Aufgabe eher bei den Erwachsenen.”

 

___________________________________________

Helios Verwaltung Hessen GmbH
Helios Klinikum Erfurt

Online Support | Helios Region Süd

Nordhäuser Straße 74 – 99089 Erfurt
www.helios-gesundheit.de/erfurt