Neue Daten zeigen: Psychiatrische Versorgung deutschlandweit in Gefahr

Psychische Belastungen steigen, Behandlungen werden zunehmend stärker nachgefragt, psychiatrische Kliniken haben aber vielfach Probleme, qualifiziertes Personal zu finden. Statt dass sie in dieser schwierigen Lage Unterstützung erhalten, drohen den Kliniken ab dem 01. Januar 2024 aufgrund einer Personal-Richtlinie des G-BA nun sogar Strafzahlungen. Diese Sanktionen, das zeigen neueste Analysen, sind unverhältnismäßig, unsachgemäß und ungerecht und würden deutschlandweit zu einem unkontrollierten und dramatischen Verlust von Behandlungsmöglichkeiten führen. Um das zu verhindern, fordert ein breites Bündnis aus Fachverbänden und Betroffenenvereinigungen deshalb jetzt die Streichung dieser Sanktionen. Nur so kann die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen gewährleistet werden.

Hintergrund ist die sogenannte „Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL)“ des G-BA. In ihr sind seit 2020 Untergrenzen für die Personalausstattung in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken festgeschrieben. Die Zahlen wurden ohne aktuelle Datengrundlage festgesetzt und spiegeln die Notwendigkeiten einer leitliniengerechten Behandlung nicht wider.

Werden diese ohne Evidenz definierten Untergrenzen nicht eingehalten, sieht die PPP-RL Strafzahlungen vor. Diese greifen, sobald auch nur in einem Quartal in einer einzigen von sechs Berufsgruppen die Vorgaben nicht erfüllt sind. Sie werden selbst dann fällig, wenn über das gesamte Jahr und das gesamte Personal betrachtet alle vorgesehenen Leistungen erbracht und alle entsprechenden Finanzmittel verausgabt werden. Im Gegenteil zu vergleichbaren Mechanismen fallen sie in der Höhe drastisch aus: Auch bei kleinen Unterschreitungen können Zahlungen fällig werden, die fünfmal höher liegen als die vermeintlich eingesparte Summe.

Die Strafzahlungen werden in vielen Kliniken eine Abwärtsspirale auslösen. Um sie zu vermeiden, werden Patientenzahlen reduziert und innovative Behandlungsangebote abgebaut, Mitarbeitende werden von zentralen Bezugspersonen zur Personal-Veschiebe-Masse. Sanktionszahlungen verringern die Budgets der Kliniken weiter, was die Personalgewinnung erschwert und wiederum weitere Sanktionen nach sich zieht. Ist der Weiterbetrieb nicht mehr wirtschaftlich möglich, werden Kliniken sogar schließen müssen.

Neueste Analysen zeigen, dass davon Kliniken im ganzen Land betroffen sein werden. Es wird bundesweit und flächendeckend zu einer deutlichen Verknappung der stationären Behandlungskapazitäten kommen. „Damit steht die psychiatrische Versorgungslandschaft vor einem unkontrollierten Kahlschlag“, warnt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN), Andreas Meyer-Lindenberg. „Patientinnen und Patienten, die stationär in der Erwachsenen- oder der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt werden müssen, können nicht einfach zu niedergelassenen Behandelnden wechseln. Selbst wenn es ausreichend ambulante Behandlungsplätze gäbe – die aktuellen Strukturen machen es unmöglich, solche akut oder schwer erkrankten Patienten ambulant angemessen komplex zu versorgen.“

Die Sanktionen der PPP-RL gefährden die Versorgungssicherheit. Um diese Gefahr auszuräumen, ist laut der „Plattform Entgelt“, einem breiten, 2012 gegründeten Bündnis zentraler Akteure der stationären psychiatrischen Versorgung, akut nur ein Schritt sinnvoll: Die überzogenen und nicht zielführenden Strafzahlungen der PPP-RL müssen in ihrer aktuellen Form gestrichen werden. Die Koordinatorin der Plattform Dr. Sylvia Claus argumentiert: „Es braucht einen verhältnismäßigen und gestuften Ansatz. Selbstverständlich sollten Gelder, die nicht für Personal eingesetzt werden, zurückgezahlt werden. Aber Kliniken, die aufgrund des Fachkräftemangels Schwierigkeiten haben, Stellen zu besetzen, sollten nicht bestraft, sondern unterstützt werden. Der aktuelle Sanktionsmechanismus wird nicht zu einer Verbesserung der Versorgung führen, er gehört abgeschafft.“

Die Folgen wird sonst die Bevölkerung zu tragen haben: Menschen mit psychischen Erkrankungen, die keine oder nicht die richtige Behandlung erhalten, ihre Angehörigen und auch Mitarbeitende von Kliniken, die ihrer Arbeit nicht mehr sinnvoll und zufriedenstellend nachkommen können.

Die Forderung nach Streichung der aktuellen Sanktionen der PPP-RL wird von einem breiten Bündnis getragen: Mehr als 20 Fach-, Berufs- und Betroffenenverbände unterstützen das Positionspapier, das die Mechanismen der Strafzahlungen aufzeigt und mit Beispielberechnungen ihre Unangemessenheit und die besorgniserregenden Folgen belegt.

Zum Positionspapier [PDF]

 

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