UMG-Pathologe Priv.-Doz. Dr. Felix Bremmer entschlüsselt zusammen mit Düsseldorfer Urologen Prof. Dr. Daniel Nettersheim neuen Biomarker für Keimzelltumoren beim Mann. Wilhelm-Sander-Stiftung förderte die Forschungsprojekte. Veröffentlicht in „Journal of Cellular and Molecular Medicine“.

(umg) Hodentumoren, auch Keimzelltumoren genannt, sind die häufigsten bösartigen Tumoren bei jungen Männern im Alter von 15 bis 45 Jahren. Durch die Einführung der Chemotherapien mit Platinderivaten können heute über 90 Prozent der Patienten geheilt werden. Eine Gruppe von Hodentumoren spricht jedoch auf keine medikamentöse Tumortherapie an und lässt sich auch nicht mit chirurgischen Verfahren heilen: die Dottersacktumoren. Die beiden Wissenschaftler Priv.-Doz. Dr. Felix Bremmer, Oberarzt am Institut für Pathologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), und Prof. Dr. Daniel Nettersheim, Leiter Translationale Uroonkologie der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, haben die bislang nahezu unverstandenen molekularen und (epi)genetischen Mechanismen untersucht, die die Differenzierung von embryonalen Karzinomen in Dottersacktumoren steuern. Ziel der Forscher war es, diese Tumoren besser zu verstehen und mögliche neue Ansatzpunkte für zukünftige Therapien sowie neue Biomarker zur Diagnose der Dottersacktumoren in der pathologischen Routinediagnostik zu finden. Gefördert wurden die Forschungen durch die Wilhelm Sander-Stiftung. Die Ergebnisse sind in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Journal of Cellular and Molecular Medicine“ veröffentlicht.
Originalpublikation: Wruck W, Bremmer F, Kotthoff M, Fichtner A, Skowron MA, Schönberger S, Calaminus G, Vokuhl C, Pfister D, Heidenreich A, Albers P, Adjaye J, Nettersheim D. The pioneer and differentiation factor FOXA2 is a key driver of yolk-sac tumour formation and a new biomarker for paediatric and adult yolk-sac tumours. J Cell Mol Med. 2021 Jan 14. doi: 10.1111/jcmm.16222. Epub ahead of print. DOI: 10.1111/jcmm.16222

Hintergrundinformation: Keimzelltumoren

Keimzelltumoren werden in Seminome und Nicht-Seminome unterteilt. Beide Hodentumoren entstehen aus einer gemeinsamen Vorläuferläsion, der sogenannten „Keimzellneoplasie in situ“ (GCNIS; aus dem Englischen für „germ cell neoplasia in situ“). Dabei handelt es sich um Krebsvorläuferzellen, die auf das Ursprungsgewebe – hier die Hoden – begrenzt sind. Seminome ähneln in ihrem Aussehen, ihrem Genexpressionsprofil und der Epigenetik sehr stark den GCNIS-Zellen. Die Nicht-Seminome hingegen besitzen ihre eigene Stammzellpopulation, das embryonale Karzinom. Dieses ist wie embryonale Stammzellen in der Lage, sich in Zellen aller Gewebearten zu wandeln und alle möglichen Gewebe des Embryos zu imitieren. Eine Besonderheit der embryonalen Karzinome ist, dass sie auch in extra embryonale Gewebe (also Gewebe, die nicht zum Embryo gehören) differenzieren und sich so unter anderem zu sogenannten „Dottersacktumoren“ entwickeln können. Die Prognose für Patienten mit Dottersacktumoren ist meistens schlecht. Diese Tumoren gehören zu den Keimzelltumoren mit hoher Sterblichkeit. Sie bilden häufig eine Resistenz gegenüber der Cisplatin-basierten Standard-Chemotherapie aus, mit der sonst sehr gute Erfolge erzielt werden können.

Neuer Biomarker für Diagnostik entdeckt

Die Wissenschaftler aus Göttingen und Düsseldorf haben Dottersacktumor- und embryonale Karzinom-Gewebe und -Zelllinien gezielt nach Unterschieden auf der DNA-, RNA- und Protein-Ebene hin untersucht. Anhand einer vergleichende Analyse konnten sie jetzt zeigen, dass der Pionier- und Transkriptionsfaktor FOXA2 ein Schlüsselfaktor in der Entwicklung von Dottersacktumoren sein könnte. Dabei interagiert FOXA2 vermutlich mit einem weiteren Transkriptionsfaktor (SOX17), um die Genexpession typischer Dottersacktumor-assoziierter Gene und Signalwege zu regulieren und damit die Differenzierung eines embryonalen Karzinoms in einen Dottersacktumor herbeizuführen. Darüber hinaus konnte das Forscherteam um Daniel Nettersheim und Felix Bremmer an über 350 verschiedenen Keimzelltumorgeweben zeigen, dass sich der immunhistochemische Nachweis des FOXA2-Proteins, also prinzipiell eine Antikörper-basierte Markierung, als vielversprechender Biomarker in der Diagnostik eignen könnte. „Durch den FOXA2-Nachweis ist es uns gelungen, eindeutig Dottersacktumoren von den anderen Keimzelltumortypen zu unterscheiden. Auch kleine Dottersacktumor-Anteile in gemischten Keimzelltumoren lassen sich so nachweisen, die sonst möglicherweise unentdeckt geblieben wären und die Therapie nachteilig beeinflusst hätten“, sagt Priv.-Doz. Dr. Felix Bremmer, Oberarzt am Institut für Pathologie der Universitätsmedizin Göttingen.

Basierend auf diesen Erkenntnissen und zukünftiger weiterführender Forschung erhoffen sich die Wissenschaftler, die Diagnostik und Therapiemöglichkeiten von Dottersacktumorpatienten verbessern zu können und so die mit diesen Tumoren verbundene Sterblichkeit zu senken.

 

Priv.-Doz. Dr. Felix Bremmer, Oberarzt am Institut für Pathologie der Universitätsmedizin Göttingen. Foto: umg
Bildunterschrift: Die Bildung von Dottersacktumoren aus embryonalen Karzinomen könnte das Ergebnis einer durch die Mikroumgebung ausgelösten Hochregulation von FOXA2 sein. Foto: © Felix Bremmer, Göttingen