Eine persönliche Lebensgeschichte in jedem Sarg

Leichenwesen ist eine der Säulen in Forschung und Lehre am Institut für Anatomie der Unimedizin Rostock

 Rostock – Konzentriert und behutsam präpariert Laura Hiepe im Sektionsraum des Anatomischen Instituts der Unimedizin Rostock ein menschliches Gehirn. Es soll dreidimensional gescannt und später im 3D-Drucker als Modell vervielfacht werden, um in der Lehre zum Einsatz zu kommen. „Die modernen technischen Möglichkeiten sind eine gute Ergänzung zur herkömmlichen Ausbildung der Studierenden am Leichnam”, sagt die Leiterin der Prosektur. Aber ohne die Arbeit an Körperspendern ginge es nicht, so ihre Einschätzung. Der Umgang mit dem Tod, das Verständnis für Anatomie durch Anfassen und Fühlen und nicht zuletzt die Entwicklung persönlicher und sozialer Kompetenzen seien für die jungen Menschen im Medizin- und Zahnmedizinstudium wichtig. Hiepes Anspruch an Pietät und Würde im Umgang mit den Verstorbenen ist hoch: „Schließlich liegt in jedem Sarg eine persönliche Lebensgeschichte.”

 Einen Mangel an freiwilligen Körperspendern gibt es im Institut für Anatomie nicht, denn das Team engagiert sich seit langem für die Aufklärung und den engen Kontakt zu den Spendern und deren Angehörigen. Den eigenen Körper zu spenden heißt, diesen nach dem Tod zu Lehr- und klinischen Forschungszwecken sowie zur Fort- und Weiterbildung zur Verfügung zu stellen. Ein sogenanntes Vermächtnis kann man mit frühestens 55 Jahren ablegen. Etwa 75 Körperspender werden jährlich vom Bestattungsunternehmen zu Laura Hiepe und ihrem Kollegen in eine der 40 Kühlzellen gebracht. Die 34-Jährige protokolliert jeden Eingang, vermerkt u.a. Besonderheiten wie Narben, chirurgische Eingriffe und den Allgemeinzustand des Leichnams. Je nach späterer Verwendung bereitet sie den Körper für die langfristigen Präparationskurse der Studenten oder OP-Kurse von Chirurgen vor. Auch Frischentnahmen einzelner Organe für Forschungs- und Lehrprojekte gehören zu ihren Aufgaben. Hiepe schätzt ihre vielseitige und interdisziplinäre Arbeit, bei der sie zwischen dem „Leichenkeller” und administrativen Aufgaben am Schreibtisch wechselt. Geboren in Leipzig, aufgewachsen in Bonn und Berlin, hat sie an der Charité eine Ausbildung zur Krankenschwester und später zur medizinischen Sektions- und Präparationsassistentin absolviert. „Einen Ausbildungsplatz zu bekommen, ist gar nicht so einfach”, sagt Hiepe. „Denn es gibt in Deutschland mittlerweile nur noch eine Berufsschule, die die Ausbildung anbietet.” Nebenberuflich studierte sie Medizinalfachberufe und verglich in ihrer Bachelorarbeit die Bestattungsgesetze der Bundesländer und deren Auswirkung auf die Trauerarbeit der Angehörigen. Nach Rostock kam sie aus beruflichen Gründen und blieb – auch wegen der Nähe zum Meer, wo sie viel Zeit mit ihrer Familie verbringt. Privaten Ausgleich findet sie in ihrer Vorliebe zur englischen Kriminalliteratur, bei Museumsbesuchen oder beim Malen.

 Laura Hiepe geht offen mit ihrem nicht ganz alltäglichen Beruf um: „Der Tod wird in unserer Gesellschaft tabuisiert, ich würde mir einen offeneren Umgang wünschen.” Die Möglichkeit dazu hat sie auch bei der Arbeit in und an der anatomischen Sammlung des Instituts, die sie ebenfalls leitet: „Unsere Ausstellung ist ein Kleinod, das ich sehr gern weiterentwickeln und der Öffentlichkeit zugänglicher gestalten würde.” Führungen sind derzeit Covid-bedingt nicht möglich. Im Sommer erweitert eine frisch ausgelernte Präparatorin das Team; dann wird sich Laura Hiepe auch wieder mehr an der direkten Ausbildung der Studenten beteiligen können.