‚Affenpocken‘ und die Deutsche STI-Gesellschaft (DSTIG) – ein Positionspapier
Version vom 29.09.2022


STI oder nicht?

International wird in Anbetracht des aktuellen Ausbruchs diskutiert, ob ‚Affenpocken‘ (MPX) als eine STI
einzustufen sind. Aus Sicht der DSTIG handelt es sich bei einer Infektion mit ‚Affenpockenviren‘ (MPXV)
um eine sexuell übertragbare Infektion. Wir sprechen immer dann von einer STI, wenn die sexuelle
Übertragung des jeweiligen Erregers – in diesem Fall MPXV – für das Infektionsgeschehen relevant ist.
Fast alle STI-Erreger werden nicht ausschließlich sexuell übertragen (Beispiel: Syphilis). Bei MPX handelt es
sich wesentlich um eine Schmierinfektion. MPX kann also, wie viele andere STI, auch bei nicht-sexuellen
Kontakten übertragen werden (1).

Den weltweiten – außerhalb der klassischen Endemiegebiete – seit Sommer 2022 berichteten MPXV-
Infektionen liegen fast ausschließlich sexuelle, und damit enge körperliche Kontakte, zugrunde.
Primärläsionen (Eintrittsstellen) sind vor allem anogenital und orofazial zu finden, von wo aus MPXV
lymphogen und hämatogen spreitet (1,2,3).

Die DSTIG sieht insbesondere medizinische Fachgesellschaften in der Verantwortung, ihre Mitglieder (und die Öffentlichkeit) breit und nicht-stigmatisierend über MPXV-Infektionen und den Schutz davor, das heißt auch über die Pockenimpfung, aufzuklären.
Der Umgang mit der HIV-Epidemie in vielen Ländern seit den 1980er Jahren hat gezeigt, dass Verhaltens- und Verhältnisprävention sinnvoll zu kombinieren sind. Eine stigmatisierende Behandlung von bzw. Berichterstattung über Menschen aus Schlüsselgruppen hat nicht zuletzt unerwünschte Auswirkungen auf die Prävention. Der Versuch, stigmafrei zu berichten, darf aber nicht dazu führen, dass Schlüsselgruppen der Prävention nicht mehr benannt werden. Die Schaffung von Bewusstsein, gerade zu einer neuen Erkrankung, und die umfassende Vermittlung von Wissen über Risiken, unabhängig von Gruppenzugehörigkeiten, ist vorrangig für die Verhaltensprävention. Notwendig für eine sinnvolle Verhältnisprävention ist es, Schlüsselgruppen, in diesem Falle MSM, einen priorisierten
Zugang zur Impfung zu ermöglichen, und dies nachhaltig.


Isolieren oder nicht?

Bisher werden nur in seltenen Einzelfällen Infektionen über Haushaltskontakte berichtet. Eine Quarantäne von im selben Haushalt lebenden Personen ist daher obsolet.

Auch eine generelle Isolation der mit MPXV infizierten Personen ist aus Sicht der DSTIG nicht erforderlich. Eine Isolation ist zu erwägen, wenn das klinische Bild, z.B. schwere Hautveränderungen an nicht durch Kleidung bedeckten Arealen (Gesicht und Hände) eine nicht-sexuelle Übertragung auf Kontaktpersonen der Umgebung wahrscheinlicher werden lässt, oder wenn Kontakte zu vulnerablen Personen außerhalb des Haushalts (Kinder, Immungeschwächte etc.) bestehen.

Die DSTIG schätzt zudem eine Wochenlange Isolationen als sozial und finanziell belastend ein und es gibt Hinweise, dass diese sich negativ auf die amtliche Erfassung der Infektion sowie auf die Kontaktnachverfolgung auswirken.

Impfen
Die DSTIG spricht sich dafür aus, Menschen mit einem erhöhten Risiko für eine MPXV-Infektion bei den Impfungen zu priorisieren. Das sind aktuell vor allem Männer, die Sex mit Männern haben.

Mittelfristig muss allen Menschen mit dem Risiko einer MPXV-Exposition ein leicht zugängliches Impfangebot
gemacht werden. Dazu gehören neben allen MSM mit wechselnden Partnern (Finanzierung über die Krankenkassen) auch alle Mitarbeiter *innen im Gesundheitswesen, die potentiell direkten Kontakt zu Hautläsionen von Erkrankten haben, sowie alle im Labor exponierten Personen (Finanzierung über den Arbeitgeber), wenngleich die Infektionsgefahr hier gering zu sein scheint (4).

Allein die erste Gruppe umfasst mindestens 500,000 Personen, und jedes Jahr kommen generationsbedingt 10,000 hinzu (5,6,7). Auch ist davon auszugehen, dass regelmäßig neue Infektionen aus dem Ausland importiert werden. Nicht alle diese Personen haben einen leichten Zugang zu einer HIV-Schwerpunktpraxis oder -Ambulanz; insofern wäre der Vertrieb des Impfstoffs über Apotheken auch dann ein wichtiges Ziel, wenn die wöchentlichen Fallzahlen sinken. Kurzfristig können die vorhandenen und bestellten Impfdosen vervielfacht werden, indem dort wo die Indikation und die fachliche Qualifikation vor Ort es erlauben, intradermal statt subkutan geimpft wird, wie es aktuell in Österreich, Belgien, Spanien, den Niederlanden, Schweden, dem Vereinigten Königreich und den USA praktiziert wird. Die Bundesregierung und die 16 deutschen Landesregierungen sind aufgefordert, Möglichkeiten eines nachhaltigen,
niedrigschwelligen Zugangs zu ausreichend Impfstoff zu gewährleisten.
Um die Impfungen schnell und breit zugänglich zu machen, können sie von qualifizierten medizinischen Fachpersonen auch dezentral, z.B. in Checkpoints oder Apotheken, angeboten werden.


Diagnose und Therapie

Es ist wahrscheinlich, dass MPXV auf mittlere Sicht in Deutschland endemisch werden. Dies legen auch
Untersuchungen nahe, die MPXV-Mutationen detektiert haben, die eine größere Infektiosität besitzen könnten (8).
Daher empfehlen wir, MPX grundsätzlich in die Differentialdiagnostik bei ulzerierenden Haut- und
Schleimhautveränderungen aufzunehmen.

Die DSTIG spricht sich dafür aus, dass der Zugang zur Therapie vereinfacht wird. Die Therapie muss von
Fachpersonen durchgeführt werden können, die mit der Behandlung von STI erfahren sind. Es ist dringend
erforderlich, dass für eine adäquate Therapie schwerer Verläufe eine ausreichende Menge an wirksamen
Medikamenten (Tecovirimat) (9) verfügbar ist.


Zusammenfassend, die für die DSTIG wesentlichen Punkte:

MPXV ist eine STI.

Eine Isolation ist nur bei schweren Hautveränderungen an nicht durch Kleidung bedeckten Arealen notwendig
oder wenn Kontakte zu vulnerablen Personen außerhalb des Haushalts bestehen,

eine Wochenlange Isolationen wird als sozial und finanziell belastend eingeschätzt und könnte sich negativ auf die amtliche Erfassung der Infektion sowie auf die Kontaktnachverfolgung auswirken.

Sowohl eine spezifische Therapie für schwer Erkrankte und
Impfstoff gegen MPXV für Schlüsselgruppen müssen niedrigschwellig und nachhaltig zur Verfügung gestellt werden.

 

Literatur:
1. Lane HC, Fauci AS.
Monkeypox – Past as Prologue.
N Engl J Med. 2022 Aug 25;387(8):749-750. doi: 10.1056/NEJMe2210535

2. Thornhill JP, Barkati S, Walmsley S, Rockstroh J et al. Monkeypox Virus Infection in Humans across 16
Countries – April-June 2022.
N Engl J Med. 2022 Aug 25;387(8):679-691. doi: 10.1056/NEJMoa2207323.
3. Ferré VM, Bachelard A, Zaidi M, Armand-Lefevre L et al. Detection of Monkeypox Virus in Anorectal Swabs

From Asymptomatic Men Who Have Sex With Men in a Sexually Transmitted Infection Screening Program in

Paris, France J.Ann Intern Med. 2022 Aug 16. doi: 10.7326/M22-2183

https://www.acpjournals.org/doi/10.7326/M22-2183

4. Marshall KE, Barton M, Nichols J, de Perio MA et al. H
ealth Care Personnel Exposures to Subsequently
Laboratory-Confirmed Monkeypox Patients – Colorado, 2022.
MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 2022 Sep
23;71(38):1216-1219. doi: 10.15585/mmwr.mm7138e2

5. 1
Statistisches Bundesamt: Bevölkerungsstand – Bevölkerung nach Altersgruppen. Wiesbaden; 2022.
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-
Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Tabellen/bevoelkerung-altersgruppen-deutschland.html

6. Briken P, Dekker A, Matthiesen S. Gesundheit und Sexualität in Deutschland. Hamburg: Institut für
Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie, Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf;
2020.

7. The EMIS Network. EMIS-2017 – The European Men-Who-Have-Sex-With-Men Internet Survey. Key findings
from 50 countries. Stockholm: European Centre for Disease Prevention and Control; 2019

8. Kupferschmidt K.
Moving target. Science. 2022 Sep 16;377(6612):1252-1255. doi: 10.1126/science.ade8470
9. Desai AN, Thompson GR 3rd, Neumeister SM, Arutyunova AM, et al.
Compassionate Use of Tecovirimat for
the Treatment of Monkeypox Infection.

JAMA. 2022 Oct 4;328(13):1348-1350. doi: 10.1001/jama.2022.
15336



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