Paderborn (lwl). Hohe Auszeichnung für die Abteilung für Gerontopsychiatrie und Soziotherapie in der Klinik Paderborn des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL): Die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) hat ihr das Gütesiegel einer DGSF-empfohlenen systemisch-familienorientiert arbeitenden Einrichtung verliehen. Sie bescheinigt damit der LWL-Abteilung unter der Leitung von Dr. Beate Joachimsmeier, dass sie stets in ihrer Arbeit mit den Patienten:innen ihr Augenmerk auch auf die Angehörigen und weitere Netzwerke wie Überweiser:innen und Nachbehandler:innen legt.

In der systemischen Therapie liegt der Fokus auf dem Lebensumfeld der Patient:innen mit psychischen Störungen. Im Zentrum der Betrachtung steht die Wechselwirkung zwischen den bio-logischen und psychischen Eigenschaften der Menschen einerseits und den sozialen Bedingungen des Lebens andererseits. So betrachtet die systemische Therapie individuelle Symptome auch als Ergebnis von krankheitserzeugenden und -aufrechterhaltenden Beziehungsmustern. Deshalb bezieht sie für den Patienten wichtige Bezugspersonen wie Angehörige in die Behandlung mit ein, um an der Lösung sowohl der Probleme der Patient:innen als auch der Angehörigen im Umgang mit den Patient:innen mitzuarbeiten. Die Therapeut:innen erkunden Wünsche, Interessen, Befürchtungen und Krankheitstheorien der verschiedenen an der psychiatrischen Behandlung beteiligten Parteien und beziehen sie in die Behandlungsplanung ein.

“In der Gerontopsychiatrie sehen wir beispielsweise die spannungsvolle Konstellation, dass ältere Patienten durch ihre Erkrankung eine Heimunterbringung und einen Autonomieverlust befürchten, während Angehörige sich belastet bis überfordert fühlen”, berichtet Joachimsmeier. Gemeinsame Wünsche an den stationären Aufenthalt des Patienten aushandeln, ein gemeinsames Verständnis erreichen, Handlungsmöglichkeiten zugleich des Patienten und des ganzen Familiensystems erweitern sowie eine gemeinsame Perspektive zu planen – das sei für eine erfolgreiche Behandlung unabdingbar, so die Abteilungsleiterin der LWL-Klinik Paderborn.

Besonderen Wert lege die Abteilung auf die Zusammenarbeit mit den ambulant behandelnden Ärzten, Psychotherapeuten, Wohneinrichtungen sowie sozialen Diensten und Betreuungsdiens-ten. Sie würden in die Behandlung mit einbezogen, wann immer es sinnvoll und nützlich er-scheint. “So werden Systemgrenzen zwischen stationärer, teilstationärer und ambulanter Behandlung in der Psychiatrie überwunden und die Behandlung bedürfnisorientiert dort sicher-gestellt, wo die Patient:innen sie gerade brauchen”, betont Joachimsmeier.

 

Hintergrund

 

Einblick in den Alltag der Abteilung für Gerontopsychiatrie und Soziotherapie in der LWL-Klinik Paderborn – Dr. Beate Joachimsmeier verdeutlicht die Arbeit als systemisch-familienorientiert arbeitende Einrichtung an einem Beispiel:
“Eine alte Dame kam mit Desorientierung und zunehmenden Unruhezuständen und phasenweise aggressivem Verhalten in Begleitung ihrer Tochter, die sie pflegt, zur stationären Aufnahme. In dem Auftragsklärungsgespräch, an dem die Patientin, die Tochter, deren Ehemann und die Enkelin teilnahmen, wurde deutlich, dass der Schwiegersohn die Patientin möglichst schnell in einer Institution untergebracht haben wollte, weil er den Eindruck hatte, dass sich seine Frau in der Pflege der Mutter aufreibe. Die 23-jährige Enkeltochter war der Auffassung, dass man alte Menschen nicht ins Heim abschieben solle. Die Tochter war völlig erschöpft so-wie hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, der eigenen Familie gerecht zu werden, und der empfundenen Verpflichtung der Mutter gegenüber, sie zu Hause zu pflegen. Die Patientin zeigte sich verzweifelt darüber, dass sie so viel Hilfe brauchte und ihr zunehmend weniger ei-genständig zugetraut wurde.

In einem Familiengespräch wurde klar, dass die Patientin aggressiv reagierte, wenn die Tochter sie bei Alltagsaktivitäten unterstützen wollte und ihr z.B. den falsch herum angezogenen Pullover wieder auszog, um ihn korrekt anzuziehen. Der Ehemann der Tochter schimpfte dann mit seiner Frau, da sie sich Ruhe gönnen und nicht ständig um ihre Mutter ‘herumtanzen’ sollte. Die Enkeltochter berichtete, dass ihre Oma sich nie aggressiv zeige, wenn sie bei ihr sitze und ihr vorlese.

In der therapeutischen Begleitung verstanden die Familienmitglieder die Probleme der anderen und veränderten ihr Verhalten gegenüber der Patientin und der anderen Familienangehörigen. Das trug dazu bei, dass die Patientin weniger aggressives Verhalten zeigt. Außerdem nimmt die Patientin jetzt an der Ergotherapie teil, um an ihren alten Fähigkeiten des Handarbeitens wieder anzuknüpfen. Zur Verhinderung dennoch auftretender aggressiver Verhaltensspitzen wurde ein neuroleptisches Medikament in niedriger Dosierung verschrieben.
Um die Tochter zu entlasten, übernimmt ein ambulanter Pflegedienst das Waschen und An- und Auskleiden der Patientin. Weitere niederschwellige Hilfen wie eine Begleitung, die mit der Patientin spazieren geht oder mit ihr handarbeitet, wurden abgesprochen. Die Enkeltochter versprach, ihrer Großmutter zu bestimmten Zeiten vorzulesen. Die Tochter konnte dadurch Zeit für sich und ihren Ehemann gewinnen. Ein weiteres Ergebnis des Familiengespräches ist es, dass die Tochter es zulassen darf, wenn ihre Mutter mit einem befleckten Pullover den Tag verbringt.

Die Beteiligten haben ein psychiatrische Weiterbehandlung über die Institutsambulanz der Klinik vereinbart. Neben ärztlichen Kontakten werden die Pflegekräfte der Ambulanz die Patientin zu Hause aufsuchen und vereinbarte Absprachen im Umgang miteinander begleiten. Der Sozialarbeiter der Ambulanz kann weitere Unterstützung einleiten, sollte sich im Verlauf der Zeit ein erhöhter Hilfebedarf entwickeln.
Gemeinsam hat die Familie damit Ideen über neue Kommunikations- und Verhaltenskreisläufe gewonnen, die nun mit Unterstützung der Nachbehandler im häuslichen Alltag etabliert wer-den, sodass es nicht nur der Patientin, sondern auch allen anderen an ihrer Betreuung Beteiligten besser gehen soll”, berichtet Joachimsmeier.

Pressekontakt:
Thorsten Fechtner, LWL-Pressestelle und Tilmann Magerkurth, stellv. Ärztlicher Direktor

 


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