Fragen an… Prof. Dr. Petra Arck und Dr. Dr. Angelique Hölzemer

In der tierexperimentellen Forschung gilt es, höchste wissenschaftliche Qualität und hohe Tierschutzstandards gleichermaßen sicherzustellen. Wie das gelingen kann und wie die Methoden zur Verringerung von Tierversuchen eingesetzt werden können, das erklären anlässlich des Tags des Versuchstiers am 24. April die beiden Wissenschaftlerinnen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) Prof. Dr. Petra Arck, Forschungsdekanin, und Dr. Dr. Angelique Hölzemer, I. Medizinischen Klinik und Poliklinik.

 

Das UKE hat in den vergangenen Jahren verstärkt Methoden zur Reduzierung und Vermeidung von Tierversuchen entwickelt. Ist der Tierversuch bald überflüssig?

Prof. Dr. Petra Arck: Tierexperimentelle Studien sind in der medizinischen Grundlagenforschung und in der translationalen Forschung nach wie vor unverzichtbar. Im Tierversuch können Abläufe und Mechanismen von Krankheiten untersucht werden, von denen wir bisher keine Kenntnis haben, die wir erst einmal entdecken müssen und deren Zusammenhänge wir innerhalb des Organismus erforschen. Durch Tierversuche werden wissenschaftliche Fragestellungen oder Therapieverfahren überprüft, die in anderen verfügbaren Systemen, wie In-Vitro-Modellen, nicht verifizierbar sind. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Für die Entwicklung und Überprüfung der neuen Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 waren Tierversuche notwendig, um nachzuweisen, dass der Impfstoff eine Immunantwort in Form schützender Antikörper auslöst, aber keine schädliche Wirkung hat.

 

Welche Voraussetzungen müssen für einen Tierversuch gegeben sein?

Prof. Arck: Die Durchführung von Tierversuchen ist durch das deutsche Tierschutzgesetz streng reguliert. Jeder Tierversuch muss in Deutschland behördlich genehmigt werden. Wesentlicher Leitgedanke bei der Antragsstellung ist das 3R-Prinzip (Replace, Reduce, Refine). Das heißt Tierversuche dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn zur Aufklärung der wissenschaftlichen Fragestellung keine anderen geeigneten Methoden zur Verfügung stehen. Die Wissenschaftler:innen müssen dafür Sorge tragen, dass die Anzahl und Belastung der eingesetzten Tiere auf das notwendige Maß beschränkt werden. Diese Vorgehensweise ist absolut in unserem ureigenen Interesse, denn haltbare Forschungsergebnisse erhalten wir nur, wenn sich die Tiere wohlfühlen und nicht gestresst sind.

 

Dem Tierschutzgesetz liegt die Auffassung zugrunde, dass Menschen ein grundsätzliches moralisches Recht haben, über Tiere zu verfügen, gleichzeitig verpflichtet es, das Wohlergehen von Tieren zu schützen. Ein Spagat für die Forschenden?

Prof. Arck: Klar ist, ein Tierversuch ist kein Selbstzweck, und wichtig ist die Wertschätzung der Versuchstiere. Sie spiegelt sich in der Haltung, aber auch im professionellen Umgang der Forschenden mit dem Tier wider. Die Wissenschaftler:innen müssen versuchstierkundliche Kurse absolvieren, um entsprechende ausreichende Sach- und Fachkenntnisse zu erlangen, bevor sie Tierversuche durchführen dürfen. Generell haben wir die Pflicht, vor jedem Versuch mit Tieren abzuwägen und zu begründen, ob der zu erwartende Nutzen für den Menschen wichtiger ist als die zu erwartende Belastung für das Tier, und was wir tun können, um die Belastung für die Tiere so gering wie möglich zu halten. Erst dann können wir einen Tierversuch ethisch vertreten. Denkt man diese Pflichten konsequent weiter, kommt man zum 3R-Prinzip, das wir seit vielen Jahren im UKE verfolgen.

 

Welche 3R-Methoden kommen im UKE in der Forschung zum Einsatz?

Prof. Arck: Einen Großteil unserer Erkenntnisse gewinnen wir am UKE durch klinische Studien und alternativen Methoden wie Modellrechnungen, In-Vitro-Verfahren oder die Verwendung von sogenannten Organoiden. Die Medizinische Fakultät hat im vergangenen Jahr zum zweiten Mal ihre 3R-Forschungsförderlinie ausgelobt. Unterstützt werden damit Forschungsprojekte von UKE-Wissenschaftler:innen, die unter Vermeidung von Tierversuchen neue Erkenntnisse für Diagnostik und Therapie menschlicher Erkrankungen gewinnen sollen. Gerade fördern wir drei innovative Projekte für zwei Jahre mit insgesamt 500.000 Euro.

 

Dazu zählt auch das Projekt von UKE-Wissenschaftler:innen, die neuartige 3D-Zellkulturmodelle des menschlichen Gehirns entwickelt haben. Wie und aus welchem Material haben Sie das Modell entwickelt?

Dr. Dr. Angelique Hölzemer: Das Modell der zerebralen Organoide wurde bereits 2014 von Wiener Forschenden entwickelt und wird seitdem international vermehrt eingesetzt, um Prozesse im menschlichen Gehirn zu erforschen. Die Grundlage für die zerebralen Organoide sind sogenannte humane induzierte Stammzelllinien. Hierbei werden gewöhnliche Körperzellen von gesunden Erwachsenen oder auch Patient:innen so umprogrammiert, dass sie sich mit den richtigen Wachstumsfaktoren und unter bestimmten Zellkulturbedingungen in viele verschiedene Gewebe ausbilden können.

 

Was erforschen Sie an den sogenannten zerebralen Organoide?

Dr. Hölzemer: Als Virusimmunologin erforsche ich das Humane Immundefizienz Virus – den Erreger, der AIDS auslöst. Bislang gibt es keine Heilung für die HIV-Infektion, da das Virus in verschiedenen Organen, unter anderem dem Gehirn, schlummert und ohne tägliche Medikamente wieder ausbricht. An den zerebralen Organoiden untersucht meine Arbeitsgruppe, wie sich das HI-Virus im Gehirn verhält, wie es dort vom Immunsystem erkannt werden kann und wie es dort die Nervenzellen schädigt. Unsere Forschung war bisher dadurch limitiert, dass wir nur einzelne Zelltypen in 2D untersuchen konnten, zum Beispiel die Immunzellen im Gehirn (Mikroglia), welche von HIV befallen werden. Der Vorteil der zerebralen Organoide ist, dass sie sich aus mehreren Zelltypen zusammensetzen: Nervenzellen, Stützzellen und auch Mikroglia. Diese Weiterentwicklung ermöglicht, dass wir erstmals die direkte Interaktion von menschlichen Nervenzellen mit den Immunzellen des Gehirns in einem 3D-Modell untersuchen können. Mit Wissenschaftler:innen vom Institut für Neuroimmunologie und Multiple Sklerose wollen wir nun mit der 3R-Dekanatsförderung diese zerebralen Organoidmodelle für die Multiple Sklerose-Forschung weiterentwickeln, um auch hier die Interaktion von Nervenzellen und Immunzellen im Gehirn besser untersuchen zu können.

 

Können durch die Organoide Tierversuche in Teilen ersetzt werden?

Dr. Hölzemer: Gemeinsam arbeiten wir daran, die zerebralen Organoide dafür zu nutzen, die Anzahl der Tierversuche in der Multiplen Sklerose-Forschung zu reduzieren. Ein konkreter Ansatz ist beispielsweise, dass wir bestimmte Gene, von denen wir annehmen, dass sie Nervenzellen vor dem entzündlichen Einfluss der Immunzellen im Gehirn schützen können, zuerst in unseren zerebralen Organoiden untersuchen. So können wir testen, ob diese Gene die Kommunikation zwischen menschlichen Nervenzellen und den Immunzellen des Gehirns verändern und den Untergang der Nervenzellen beeinflussen. Nach diesem ersten Schritt können dann die vielversprechendsten Kandidaten ausgewählt und nur noch sehr selektiv in Tiermodellen untersucht werden.

 

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