Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) informiert:

Traumatische Erlebnisse können starke emotionale und psychische Auswirkungen haben

 

Hamm (lwl). Unfälle, die Erfahrung von Gewalt oder das Erleben von Krieg, wie derzeit in der Ukraine – traumatische Erlebnisse können starke emotionale und psychische Auswirkungen auf betroffene Kinder und Jugendliche haben. “Ein Trauma kann das ganze Leben eines Menschen bestimmen. Das muss es aber nicht. Betroffene können lernen, sich mit dem Trauma auseinanderzusetzen, damit es den Schrecken der Vergangenheit verliert”, erklärt Kathrin Steinberg, Expertin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und Oberärztin an der kinder- und jugendpsychiatrischen LWL-Universitätsklinik Hamm.

 

Was genau verstehen wir unter einem Trauma?
Sprechen wir von einem psychischen Trauma, meinen wir damit eine seelische Verletzung. Die-se entsteht, wenn jemand einem bedrohlichen Ereignis oder über einen längeren Zeitraum einer extrem belastenden Situation ausgesetzt ist. Ein traumatisches Erlebnis kann die Widerstandskraft eines Menschen überfordern. Betroffene kommen mit dem Erlebten nicht zurecht. Sie fühlen sich hilflos, schutzlos und spüren eine tiefe Erschütterung.

 

Welche Erlebnisse können bei Kindern und Jugendlichen zu einem Trauma führen?
Wir unterscheiden Typ-1-Traumata und Typ-2-Traumata. Typ 1 entstehen durch ein einmaliges, meist unerwartetes Ereignis – zum Beispiel durch einen Unfall, eine Naturkatastrophe, ein Amoklauf oder einen Überfall. Kinder mit einem Typ-2-Trauma waren dagegen langanhaltend und wiederholt einer bedrohlichen Situation ausgesetzt – durch Vernachlässigung, sexuellen Missbrauch, Misshandlungen, das Leben im einem Kriegsgebiet. Hunderttausende Menschen fliehen zurzeit vor dem Krieg in der Ukraine, wurden plötzlich aus ihrem Alltag herausgerissen und mit grausamen Dingen konfrontiert – das ist extrem schwer zu verarbeiten. Betroffene müssen allerdings keine akute Lebensgefahr empfinden, um ein Trauma zu entwickeln. Auch Verluste oder andauerndes Mobbing können traumatisch sein. Für manche ist die aktuelle Corona-Pandemie eine traumatische Situation.

 

Verspürt jedes Kind nach einem schlimmen Erlebnis eine so tiefe Erschütterung?
Generell sind wir Menschen sehr robust. Nicht jedes Kind entwickelt nach einem schlimmen Erlebnis eine Traumafolgestörung. Es kommt auf die Persönlichkeit und die eigene Widerstandsfähigkeit an, ebenso wie auf die Umstände. Geht Gewalt nicht von einer fremden, sondern einer nahestehenden Person aus, wird das Weltbild noch einmal ganz anders erschüttert. Zudem wissen wir: Je häufiger ein Kind einer Traumatisierung ausgesetzt ist, desto mehr Symptomatik einer Traumafolgestörung entwickelt sich.

 

Wie kann sich eine Traumafolgestörung äußern?
Eine spezielle Form der Traumafolgeerkrankung ist die Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS. Diese kann sich dadurch äußern, dass ein Kind die traumatische Situation immer wieder erlebt, sogenannte Flashbacks hat. Oder es vermeidet bestimmte Orte, bestimmte Gefühle und entwickelt eine emotionale Taubheit. Dazu kommt das Empfinden einer ständigen Bedrohung. In Folge von schweren, andauernden Traumatisierungen kann sich auch eine komplexe PTBS entwickeln, mit schweren Beeinträchtigungen im Denken, Fühlen und Führen von sozialen Beziehungen. Generell kann traumatischer Stress allerdings jede psychische Störung zur Folge haben. Ein Trauma kann das ganze Leben eines Menschen bestimmen.

 

Wann ist es sinnvoll, professionelle Hilfe zur Verarbeitung eines Traumas in Anspruch zu nehmen?
Ich würde raten, nicht erst zu warten, bis sich eine ausgeprägte Traumafolgestörung entwickelt hat. Nach einem belastenden Vorfall sollten Eltern aufmerksam auf Veränderungen im Verhalten ihres Kindes achten. Wenn ein Kind nach einem Unfall über mehrere Wochen nicht mehr gut schläft, ist es ratsam, sich beraten zu lassen.

 

Wie sieht eine Therapie zur Verarbeitung eines Traumas für Kinder und Jugendliche aus?
Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Zuerst geht es aber immer darum, dem Kind das zu vermitteln, was ihm durch die Traumatisierung fehlt: Sicherheit, Stabilität, Kontrolle. Die Aufgabe des Therapeuten oder der Therapeutin ist, einen verlässlichen Rahmen für das Kind zu schaffen. Dann kann gemeinsam daran gearbeitet werden, Symptome zu erkennen, Ressourcen zu aktivieren und Strategien zur Stressbewältigung zu entwickeln. Je nachdem, wie tief die Erschütterung ist, kann das innerhalb von zwei oder drei Sitzungen gelingen oder aber Monate, sogar Jahre dauern. Fühlt das Kind sich wieder sicher, folgt die Konfrontation, in der es darum geht, das Erlebte emotional und kognitiv zu verarbeiten. Das Kind lernt, über das Erlebte zu sprechen und sich immer wieder klar zu machen: Ich habe es überstanden, ich lebe im Hier und Jetzt. Der letzte Schritt ist dann die Annahme des Erlebten.

 

Kann ein Kind ein Trauma je ganz überwinden?
Man kann die Zeit leider nicht zurückdrehen – niemand kann ein traumatisches Erlebnis einfach aus dem eigenen Leben streichen. Kinder können aber lernen, das Trauma in ihr Leben zu integrieren, sie können lernen, damit zu leben und es somit auch überwinden. Es gibt auch Betroffene, die durch das Erlebte sogar stärker werden.

 

Pressekontakt:
Klaudia Suilmann, LWL-Universitätsklinik Hamm und Frank Tafertshofer, LWL-Pressestelle

 


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Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit mehr als 18.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.