Hebammenschule der Bildungsakademie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) schließt nach 272 Jahren ihre Pforten. Abschiedsveranstaltung mit rund 80 Teilnehmenden am 1. Dezember 2023 im Hörsaal 81 des Universtitätsklinikums Göttingen. Prof. Dr. Lorenz Trümper, Vorstand Krankenversorgung der UMG: „Mit der Schließung der Hebammenschule in Göttingen geht eine bewegende und prägende Ära zu Ende. Die Geschichte geht nun am Gesundheitscampus Göttingen weiter. Wir freuen uns über die nahtlose Fortführung der Ausbildung im Studiengang Hebammenwissenschaft.“

 

Auf dem Bild (v.l.): Süheyla Esmek-Papa und Diemut Stark, Lehrerinnen für Hebammenwesen UMG; Sonja Diedrich, Leiterin der Bildungsakademie UMG; Cornelia Krapp, ehemalige Schulleitung der Hebammenschule; Prof. Dr. Lorenz Trümper, Vorstand Krankenversorgung UMG; Dr. Holger Berwinkel, Leiter des Universitätsarchivs Göttingen. Foto: umg/Vetter

 

(umg) 272 Jahre lang wurden Hebammen in der Hebammenschule der Bildungsakademie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) in Theorie und Praxis ausgebildet. Am 30. September 2023 wurde die älteste Hebammenschule Deutschlands an einer Universitätsklinik nun für immer geschlossen. Die Verantwortlichen und Lehrenden der Schule nahmen am 1. Dezember 2023 in einer zweistündigen Feierstunde gemeinsam mit rund 80 Gästen offiziell Abschied. Die Referent*innen reflektierten noch einmal die Geschichte der Schule sowie deren Bedeutung für die Region und die Universitätsmedizin Göttingen.

Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte Prof. Dr. Julia Gallwas, Direktorin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der UMG, die Anwesenden. Diemut Stark und Cornelia Krapp, Lehrerinnen für Hebammenwesen, referierten in einem gemeinsamen Vortrag über die Geschichte der Göttinger Hebammenschule vom 18. Jahrhundert bis heute. „Jede Hebamme durchlief bei uns mehr als 1.600 Stunden theoretische Ausbildung und 3.000 Stunden Praxiserfahrung. Das praktische Examen erfolgte immer direkt an den Schwangeren oder Mutter und Kind. Allein während meiner Zeit an der Schule, ab 1999, wurden etwa 200 Hebammen ausgebildet“, sagte Cornelia Krapp, die die Schule von 2007 bis zum Ende leitete.“ Anschließend sprach Dr. Holger Berwinkel, Leiter des Universitätsarchivs Göttingen, zu dem Thema: Geschichte hört nicht auf. „Die Akten bezeugen seit 1740 Hebammen-Examen an der Universität Göttingen. Das Archiv hat die Dokumente der Hebammenschule gesichert, damit sich die Hebammenausbildung auch in Zukunft mit ihrer beeindruckenden Geschichte auseinandersetzen kann“. Prof. Dr. Lorenz Trümper, Vorstand Krankenversorgung der UMG, betonte: „Mit der Schließung der Hebammenschule in Göttingen geht eine bewegende und prägende Ära zu Ende. Fast 300 Jahren lang wurden hier Hebammen fundiert ausgebildet, die Medizin und Gesellschaft bereichert haben. Die Geschichte geht nun am Gesundheitscampus Göttingen weiter. Wir freuen uns über die nahtlose Fortführung der Ausbildung im Studiengang Hebammenwissenschaft.“ Moderiert wurde die Veranstaltung von Sonja Diedrich, Leiterin der Bildungsakademie der UMG.

Die Ausbildung zur Hebamme ist weiterhin möglich. Der Gesundheitscampus Göttingen (GCG) hat zum Wintersemester 2020/2021 unter Beteiligung der Hebammenschule den Studiengang Hebammenwissenschaft erstmals aufgenommen. Das Studium dauert sieben Semester. Der GCG ist eine akademische Ausbildungseinrichtung, die im Jahr 2016 gemeinsam von der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, Hildesheim/Holzminden/Göttingen gegründet wurde, um die Qualifikation in den Gesundheitsberufen neu zu denken.

Die Räumlichkeiten der Hebammenschule werden zukünftig für die Berufsfachschule Pflege und Fortbildungsveranstaltungen der Bildungsakademie genutzt. Zudem werden die Demonstrationsräume für die Ausbildungsberufe Pflegefachfrau/Pflegefachmann und Operations- sowie Anästhesietechnische Assistenz (OTA/ATA) umfunktioniert.

DIE GESCHICHTE DER HEBAMMENSCHULE

1751 wurde das erste Accouchierhaus (Gebäranstalt) in Göttingen eröffnet, in dem die Hebammenausbildung erstmals in schulischer Form stattfand. Dieses Jahr gilt als Gründungsjahr der Göttinger Hebammenschule. Das Accouchierhaus war einerseits als Möglichkeit der Lehre für Medizinstudierende der Universität Göttingen und Hebammenschülerinnen gedacht, andererseits zur Unterstützung unehelich schwanger gewordener Frauen im Raum Göttingen. Somit ist die Göttinger Hebammenschule die älteste an eine Universität angegliederte Hebammenschule in Deutschland. Zu Beginn war die Annahme von beiden Seiten nicht besonders groß, sodass es in den ersten fünf Jahren nur drei Hebammenschülerinnen und circa 20 Geburten gab. Dies änderte sich ab der Direktorenschaft von Friedrich Benjamin Osiander (1759-1822) und dem Neubau des Accouchierhauses in den Jahren 1785-1791.

Unter Osiander stieg die Geburtenzahl und die Zahl der Hebammenschülerinnen an, allerdings war auch klar geregelt, dass die Ausbildung primär für die ausschließlich männlichenMedizinstudierenden sein sollte. Die Hebammenschülerinnen absolvierten ihre dreimonatige Ausbildung in den Semesterferien und wohnten zusammen mit den „Haushebammen“ im Accouchierhaus, um Tag und Nacht für die Betreuung der Schwangeren, Gebärenden, Wöchnerinnen und Neugeborenen da zu sein. Die Frauen durften einige Wochen vor der erwarteten Niederkunft ins Accouchierhaus „einziehen“. Als Gegenleistung mussten sie leichtere hauswirtschaftliche Tätigkeiten übernehmen sowie sich zu Untersuchungen und Behandlungen durch die Studierenden bereiterklären. Osiander dokumentierte die Geburten während seiner Direktorenschaft sehr genau. Diese Geburtenbücher existieren noch heute und geben einen Einblick in „seine“ Art der Entbindungskunst. Zudem gab es unter seiner Leitung die Möglichkeit als gut zahlende „Privatpatientin“ niederzukommen, auch anonym als frühe Form der vertraulichen Geburt.

1870 wurde das Accouchierhaus zu einer Frauenklinik umgestaltet. Das Fach „Gynäkologie“ war etabliert und der damalige Direktor Jacob Heinrich Hermann Schwartz hatte mehr Interesse an Gynäkologie als an Geburtshilfe, sodass der Schulschließung nichts entgegengesetzt wurde. Die Hebammenausbildung wurde erst mit dem Neubau der Klinikgebäude 1894 an der heutigen Humboldtallee wieder aufgenommen. 1922 wurde die Ausbildung auf 18 Monate festgelegt. Bis in die 70-iger Jahre war es üblich, dass sich mittellose schwangere ledige Frauen für freie Kost und Unterbringung der Hebammenausbildung und Forschung im medizinischen Bereich zur Verfügung stellten.

Erst 1963 übernahmen zwei Hebammen die Lehre in Theorie und Praxis: Annemarie Reinke und Ruth Wedemeyer. Bis dahin wurde die Schule immer von der*dem jeweiligen Direktor*in der Frauenklinik geleitet. 1988/89 zog die Uniklinik in ihr neues Gebäude in der Robert-Koch-Straße ein. Die Hebammenschule bekam eigene Räume in einem der alten Klinikgebäude in der Humboldtallee und gehörte bis zur Schließung am 30. September 2023 zur Bildungsakademie der Universitätsmedizin Göttingen.

Die Ausbildung zur Hebamme wird seit dem Wintersemester 2020/21 mit dem Studiengang „Hebammenwissenschaft“ am Gesundheitscampus Göttingen (GCG) fortgeführt, die gemeinsam von der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, Hildesheim/Holzminden/Göttingen gegründet wurde.

 

KONTAKT

Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität

Leiterin der Bildungsakademie

Sonja Diedrich

sonja.diedrich(at)med.uni-goettingen.de

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