Wissen und Einstellung zur Organspende

Innovative europäische Vergleichs-Studie bewertet nationale Organspende- Politiken in sieben Ländern unter ethischen Gesichtspunkten. Zum ersten Mal Wissen und Einstellung zur Organspende-Regelung in verschiedenen europäischen Ländern kombiniert untersucht. Veröffentlicht im Journal„PLOSone“ am 4. Juni 2021

(umg) Wissen und Einstellung zu den Organspenderegelungen in verschiedenen europäischen Ländern hat eine Forschungsgruppe von deutschen und spani- schen Wissenschaftler*innen erstmals kombiniert analysiert. Über 2.000 Studie- rende aus sieben europäischen Ländern (Deutschland, Dänemark, Österreich, Belgien, Spanien, Griechenland und Slowenien) wurden für die Studie befragt. Die europaweite Vergleichsstudie sowie ein neuartiges Bewertungsmodell für nationale Organspende-Politiken ist unter dem Titel „Governance quality indica- tors for organ procurement policies“ in dem Journal PLOSone veröffentlicht. Die Studie wurde von Prof. Dr. Silke Schicktanz vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) mitinitiiert.

 

Originalpublikation: Governance quality indicators for organ procurement policies. David Rodríguez-Arias,Alberto Molina-Pérez, Ivar R. Hanni- kainen, Janet Delgado, Benjamin Söchtig, Sabine Wöhlke, Silke Schicktanz. Published: June 4, 2021 in PLOS ONE https://doi.org/10.1371/journal.pone.0252686

Die gesamte Studie ist online einsehbar unter: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0252686

 

Um die nationalen Gesundheitspolitiken im Bereich Organspende unter ethischen Gesichtspunkten zu bewerten, stellten die Forschenden zwei Indikatoren auf: Zum einen die Fähigkeit der Politik, die Werte der Mehrheit der Bevölkerung in der gesetzlichen Regelung zu verankern. Demnach sollte dasjenige Modell ge- setzlich gelten, das auch eine Mehrheit der Bevölkerung befürwortet. Zum ande- ren nahmen die Forschenden die Fähigkeit der Politik zum Maßstab, die nicht geäußerten Interessen (Präferenzen) derjenigen Personen zu wahren, die nicht mit dem geltenden Modell einverstanden sind. „Am Umgang mit den Präferenzen der Minderheit misst sich die moralische und demokratische Qualität derartiger, moderner Gesundheitspolitik“, sagt Prof. Dr. Silke Schicktanz

Dabei schneiden nicht alle der untersuchten europäischen Länder gleich gut ab. In Deutschland und Dänemark ist der Wissensstand zur Organspenderegel hoch.

Aber die Hälfte der Befragten wünscht sich ein anderes Regelungsmodell. In Slowenien zeigen die Befragten große Wissensdefizite und eine Mehrheit spricht sich gegen die in ihrem Land aktuelle Regelung aus. In Spanien und Griechen- land weiß eine beachtliche Rate der Befragten wenig über die Regelungen ihrer Länder zur Organspende. Viele glauben, man müsse sich aktiv für die Spende aussprechen. Dabei sehen die Länderregelungen dort vor, dass ohne ausdrückli- chen Widerspruch jede*r zum Organspendenden werden kann. Die Mehrheit der Befragten in Spanien votiert allerdings genau für diese Regelung. Wer also dort nicht spenden möchte, kann ungewollt zur*zum Organspender*in werden.

2-Indikatoren Modell

Die Forschergruppe untersuchte die Qualität von nationalen Gesundheitspolitiken im Bereich der Organspende unter ethischen Gesichtspunkten unter Anwendung eines speziell entwickelten 2-Indikatoren-Modells. Die Studie richtet sich dabei nach dem Ideal der informierten Unterstützung (informed support). Dies be- schreibt das Maß an Informiertheit über die geltende gesetzliche Organspende- Regelung seitens der Bürgerinnen und Bürger sowie das Maß an Unterstützung für das jeweils geltende Modell. Daher hat diese Studie zum ersten Mal Wissen und Einstellung zur Organspenderegelung in verschiedenen europäischen Län- dern kombiniert analysiert.

Blick in die Zukunft

Für die Zukunft schlagen die Forscher*innen vor, national repräsentative Bevöl- kerungsdaten als Grundlage für ihr Analyse- und Ranking-Modell zu verwenden. Auf diese Weise ließen sich noch präzisere Aussagen über die Qualität von nati- onaler Organspende-Politik treffen. Auch sei die Anwendung ihres Modells für die COVID19-Politik denkbar; gerade dort, wo individuelle Präferenzen nicht mit dem öffentlichen Interesse vereinbar scheinen.

WEITERE INFORMATIONEN:

Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität Institut für Ethik und Geschichte der Medizin
Prof. Dr. Silke Schicktanz
Humboldtallee 36, 37073 Göttingen

https://egmed.uni-goettingen.de

 

Eine der Senior-Autorinnen der Publikation: Prof. Dr. Silke Schick- tanz, Institut für Ethik und Ge- schichte der Medizin der Universi- tätsmedizin Göttingen. Foto: Vin- cent Leifer.