Der 29. Februar ist ein seltener Tag, den es nur alle vier Jahre im Schaltjahr gibt. Aus diesem Grund wurde er zum „Tag der Seltenen Erkrankungen“ erklärt. Selten im Kontext von Krankheiten bedeutet, dass höchstens eine von 2.000 Personen betroffen ist. Dies klingt selten, doch dem ist nicht so. Das Zentrum für Seltene Erkrankungen Göttingen (ZSEG) der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) unterstützt Patient*innen mit einer Diagnose oder einem Verdacht auf eine seltene Erkrankung bei der Suche nach geeigneten Therapien und Expert*innen.

 

Presseinformation 036 zum Thema "Seltene Erkrankungen sind häufig"
Bei seltenen Erkrankungen vergehen oftmals Jahre, bis eine Diagnose gestellt werden kann. Viele Patient*innen erleben eine „Ärzt*innen-Odyssee“. Foto: umg

 

Presseinformation 036 zum Thema "Seltene Erkrankungen sind häufig"
Prof. Dr. Jutta Gärtner, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin und Vorstandssprecherin des Zentrums für Seltene Erkrankungen Göttingen (ZSEG) der Universitätsmedizin Göttingen, UMG. Foto: umg/fskimmel

 

(umg) Alle frischgebackenen Eltern kennen es: Für eine Laboranalyse wird ihrem Neugeborenen ein wenig Blut abgenommen. Ziel dieser als Neugeborenen-Screening bezeichneten, freiwilligen Untersuchung ist es, seltene genetisch bedingte Erkrankungen auszuschließen. Da jedoch nur bei den allerwenigsten Kindern Auffälligkeiten festgestellt werden, können die Eltern zumeist beruhigt ins Elterndasein starten.

Doch was passiert, wenn dem nicht so ist? In seltenen Fällen zeigt der Test beispielsweise einen Verdacht auf Erkrankungen mit Namen wie Mukoviszidose, Galaktosämie oder Phenylketonurie. Alle drei sind Stoffwechselkrankheiten, die unbehandelt schwerwiegende Folgen für das Kind nach sich ziehen. Eine frühzeitig begonnene Therapie ermöglicht den meisten Patient*innen jedoch eine weitgehend normale Entwicklung.

An dieser Stelle hilft das Zentrum für seltene Erkrankungen Göttingen (ZSEG) der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). Das ZSEG dient als Anlaufstelle für Betroffene und ihre behandelnden Ärzt*innen und hilft bei der Suche nach einer Diagnose, Therapieangeboten und Spezialist*innen. Hier werden die zum Teil sehr umfangreichen Akten von Patient*innen in medizinischer Detektivarbeit durch ein multidisziplinäres Team ausgewertet, und die Patient*innen in Spezialzentren mit unterschiedlichen Schwerpunkten weitergeleitet. Die Spezialzentren reichen von seltenen Herz-Kreislauferkrankungen über seltene neurologische und psychiatrische Erkrankungen bis hin zu seltenen Tumorerkrankungen. Oder eben seltene Stoffwechselkrankheiten wie die Phenylketonurie (PKU).

Diese Verdachtsdiagnose erhielten die Eltern eines kleinen Jungen, der in Göttingen zur Welt kam.  „Wir waren natürlich sehr besorgt“, berichtet die Mutter heute. Bei einer PKU ist der Stoffwechsel der Betroffenen nicht in der Lage, einen bestimmten Eiweiß-Bestandteil, die Aminosäure Phenylalanin, abzubauen. Unbehandelt reichern sich im Körper giftige Abbauprodukte an, die die Hirnreifung stören und zu schweren geistigen Entwicklungsstörungen führen.

Wird die PKU jedoch frühzeitig diagnostiziert, kann durch eine spezielle Diät gegengesteuert werden, die den betroffenen Kindern und ihren Eltern allerdings einiges abverlangt: Weder Fleisch noch Fisch, nur geringe Mengen an Milchprodukten, keine Eier und auch Getreideprodukte wie herkömmliche Nudeln und Brot dürfen auf den Speiseplan. Anfangs ist das noch relativ unproblematisch; die Säuglinge bekommen eine spezielle Flaschennahrung. Doch die Herausforderungen folgen: Das Würstchen beim Kindergeburtstag, ein Hefeteilchen unterwegs, der Burger mit Freunden – alles strengstens verboten. Der betroffene Junge hatte Glück: Im Jahr 2009 war ein neuartiger Wirkstoff zugelassen worden, der zumindest bei einem Teil der PKU-Patient*innen das geschädigte Enzym in die Lage versetzt, in ausreichendem Maß Phenylalanin abzubauen. Die lebenslange Diät kann dann deutlich gelockert werden, und manchmal können die Betroffenen sogar ganz auf sie verzichten. Die Mutter des kleinen Jungen durfte stillen und heute, im Kindergartenalter, kann er alles essen, was er möchte. „Wir müssen nur noch alle fünf Wochen zur ambulanten Kontrolle in die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der UMG. Die Werte sind prima, das Medikament schlägt gut an und entsprechend positiv schauen wir in die Zukunft“, erzählt seine Mutter. Früher waren PKU-Patient*innen von einer lebenslangen schweren Behinderung betroffen; heute reicht eine Tablette zweimal am Tag aus, um eine normale Entwicklung und ein normales Leben zu ermöglichen.

Doch das Neugeborenen-Screening deckt nur 16 Krankheiten ab. Laut dem Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen wird die Anzahl seltener Erkrankungen aber auf weit über 8.000 geschätzt. Damit gibt es, so selten eine einzelne Erkrankung auch ist, in der Summe betrachtet sehr viele Betroffene – allein in Deutschland sind es über vier Millionen.

Seltene Erkrankungen zeigen sehr unterschiedliche Symptome, und selbst bei ein und derselben Erkrankung kann das Spektrum der Symptome stark variieren. Die Bandbreite reicht von leichten Beschwerden, wie Sensibilitätsstörungen, bis hin zu lebensbedrohlichen Erkrankungen mit verkürzter Lebenserwartung. „Oftmals kennen selbst Haus- und Fachärztinnen und -ärzte diese Erkrankungen kaum, und da Symptome oft nicht eindeutig sind, kann der Weg bis zu einer Diagnose mühsam und belastend sein“, sagt Prof. Dr. Jutta Gärtner, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin und Vorstandssprecherin des Zentrums für Seltene Erkrankungen Göttingen (ZSEG) der UMG.

Zunehmend rücken die „Waisenkinder der Medizin“ in den Fokus der Aufmerksamkeit. Auch dank der Initiative von Selbsthilfeorganisationen wurden neue Förderprogramme initiiert und die Zulassung für spezielle Therapien erleichtert. Zu den Maßnahmen, die die Betroffenen unterstützen sollen, gehört auch die Einrichtung von Zentren für Seltene Erkrankungen, wie das ZSEG an der UMG. Moderne Medizin ermöglicht hier oft auch bei komplexen Fällen eine Diagnose oder zumindest eine Linderung der Symptome und damit eine Verbesserung der Lebensqualität.

Für Personen, die vermuten, an einer seltenen Erkrankung zu leiden, ist die*der Haus*ärztin die*der erste Ansprechpartner*in. Diese*r verweist bei Verdacht auf eine seltene Erkrankung an das ZSEG der UMG.

Weitere Informationen zum weiteren Vorgehen und zur Arbeitsweise des ZSEG finden Sie unter: https://zseg.umg.eu/

 

KONTAKT

Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität

Zentrum für Seltene Erkrankungen Göttingen

Dr. Payam Dibaj

zseg(at)med.uni-goettingen.de