Barrieren abbauen und Betroffene zu Wort kommen lassen: Wie die Rehabilitation und Nachsorge von Cochlea-Implantat-Träger*innen verbessert werden kann.

Dr. Harald Seidler, Chefarzt der Fachklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in den MEDICLIN Bosenberg Kliniken

St. Wendel, 24.11.22. Ein sogenanntes Cochlea-Implantat (CI) – also eine elektronische Hörprothese – ist für viele Hörbehinderte der Weg aus der Ertaubung ins Hören. Doch Träger*innen eines Cochlea-Implantats werden oft nicht optimal eingestellt, sodass das Hörvermögen weiterhin stark eingeschränkt bleibt. Wie die Versorgung verbessert werden kann, erklärt Dr. Harald Seidler, Chefarzt der Fachklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in den MEDICLIN Bosenberg Kliniken.

Reha für Hörgeschädigte: Barrieren abbauen

Bei Hörimplantaten ist eine Rehabilitation von großer Bedeutung, um einen Erfolg im Hören und Verstehen zu erzielen. Es ist notwendig, die Einstellungen der Sprachprozessoren zu optimieren, Patient*innen aufzuklären, die Anwendung technischer Hilfsmittel für Alltag und Beruf zu üben sowie Hörtrainings durchzuführen. Nach der Operation, bei der das Implantat eingesetzt wird, kommen Patienten nicht automatisch in die Reha. Eine CI-Reha können sie nur machen, wenn sie sie selbst aktiv beantragen. Das ist einer der Punkte, den Chefarzt Dr. Harald Seidler an der Versorgung von Hörgeschädigten bemängelt. Er ist selbst CI-Träger und kann daher neben der fachlichen Sicht auch die Sicht eines Betroffenen einnehmen.

„Es gibt aktuell große Mängel in der Steuerung, das heißt in der Weiterleitung an einen HNO-Arzt oder der Überweisung in eine Klinik. Es gibt oft keine kooperative Zusammenarbeit zwischen HNO-Arzt und Hörakustiker, daher bleiben Patienten auf der Strecke“ sagt Seidler.

In den Bosenberg Kliniken gibt es ein deutschlandweit einzigartiges Rehabilitations- und Nachsorgeprogramm für Cochlea-Implantat-Träger*innen. Ein essentieller Teil der Reha: Barrieren abbauen, damit sich die Betroffenen wohlfühlen, offen für die Reha sind und intensiv mitarbeiten können.

„Barrieren für Hörgeschädigte abzubauen bedeutet unter anderem, dass die Akustik der Räume ein wichtiges Thema ist: zum Beispiel an der Rezeption und in den Therapieräumen. Aber auch barrierefreie Patientenzimmer sind ein Muss. Bei uns gibt es Lichtsignale statt Klingeln zum Wecken, Spezialtelefone sowie einen Trainingscomputer auf dem Zimmer, auf dem die Hörprogramme nachgeübt werden können“, erzählt Seidler.

Regelmäßige Nachsorge nach der Reha

Das Cochlea Implantat ist ein hochkomplexer Computer, das heißt eine regelmäßige Nachsorge ist nötig. Wer ein Cochlea-Implantat trägt, sollte es lebenslang überprüfen und warten lassen, damit Störungen und Defekte früh erkannt und repariert werden können. „Ein falsch eingestelltes Hörgerät kann man ausziehen, bei einem CI kann eine fehlerhafte Einstellung sogar einen Tinnitus oder Schwindel auslösen“, sagt Seidler.

„Es gibt aber immer noch zu wenig Qualitätskontrolle bei der CI-Nachsorge – ein Beispiel: ambulant wird die Einstellung des CIs korrigiert – der Betroffene stellt zuhause fest, dass sich das Hörvermögen dadurch verschlechtert hat – aber der nächste Kontrolltermin ist erst in sechs Wochen. In den Bosenberg Kliniken gibt es dafür die sogenannten Blockwochen. Die Patienten kommen eine Woche in die Klinik, die Einstellungen werden täglich kontrolliert und bestmöglich angepasst. In diesem Rahmen werden auch die Hör-, Sprech- und Sprachleistungen der Patient*innen untersucht“, erzählt Seidler.

Die Folgen unzureichender Nachsorge sind gravierend: Von familiären Problemen, Isolation, Gefährdung beruflicher Leistungsfähigkeit und Kompetenz reichen diese hin bis zu Depression und Suizidgefahr.

Wie die Versorgung verbessert werden kann

Eine mögliche Lösung aus Seidlers Sicht: CI-Hörzentren, in denen eine regionale wohnortnahe Versorgung durch Teams bestehend aus HNO-Arzt / CI-Ingenieur / Hörakustik / Audiotherapie / Logopädie angeboten wird. Auch die Möglichkeit, eine CI-Reha als Anschlussheilbehandlung, also direkt nach der Krankenhausbehandlung, in Anspruch zu nehmen, würde Schwellen abbauen. „In der Reha müssen Ärzt*innen, Logopäd*innen und Audiotherapeut*innen eng zusammenarbeiten. Bei uns gelingt es so meist innerhalb von sechs Wochen, das Sprachverstehen der Betroffenen von unter 30 Prozent auf im Schnitt 70 Prozent zu steigern. Viele, die ohne CI berentet oder umgeschult werden müssten, können wir sogar in Kommunikationsberufe zurückschicken“, sagt Seidler und ergänzt: „Auch ich könnte ohne CI meinen Beruf als Chefarzt schon viele Jahre nicht mehr ausüben.“