Expert*inneninterview

CBD bei Epilepsie – ein Wundermittel?

Um den Cannabis-Wirkstoff Cannabidiol (CBD) ist ein regelrechter Hype ausgebrochen. Cannabidiol ist eine biologisch wirksame Substanz, die aus der Hanfpflanze gewonnen wird, ohne rauschhafte Effekte herbeizuführen. Sie soll bei Schmerzen, Stress oder Schlafstörungen helfen und findet sich mittlerweile in allerlei Lifestyle-Produkten und sogar in Nahrungsmitteln wieder. Seit 2018 hat die Zulassung eines auf CBD basierenden Medikaments insbesondere bei Menschen mit Epilepsie und deren Angehörigen große Hoffnungen geweckt. Dr. Randi von Wrede und Prof. Dr. Rainer Surges von der Klinik und Poliklinik für Epileptologie am Universitätsklinikum Bonn haben mehr als 25 vorliegende publizierte Untersuchungen und Studien zur Anwendung von CBD bei Epilepsiepatient*innen ausgewertet und geben im Gespräch einen Überblick zu den bisherigen Erkenntnissen.

Seitdem auf einem wissenschaftlichen Kongress in den USA der Fall eines kleinen Mädchens vorgestellt wurde, bei dem die Anwendung eines CBD-Präparats zu 90 Prozent weniger epileptischen Anfällen geführt hat, setzen Betroffene große Hoffnungen in CBD. Können Sie diese Hoffnung nähren?

Prof. Surges: Ein solch erfreuliches Ergebnis wie bei dem 5-jährigen Mädchen gibt es immer wieder, es ist aber leider nicht die Norm. Das Fallbeispiel war jedoch der Grund, dass die Pharmafirmen Studien zur Anwendung bei bestimmten Epilepsie-Formen vorangetrieben haben. Eine molekulare oder zelluläre Begründung für die Anwendung nur bei diesen Patient*innen gibt es nicht. Aus unserer Sicht kann Cannabidiol eine interessante Alternative sein, CBD-Medikamente sind aber definitiv keine Wundermittel. Deswegen setzen wir sie nur ein, wenn wir es für wirklich sinnvoll halten.

Epilepsie-Ambulanz ist die Mehrzahl abgelehnt worden. Das wird von Patient*innen zum Teil natürlich als sehr belastend empfunden.

Wie viel kostet die Behandlung mit rezeptpflichtigem Cannabidiol?

Dr. von Wrede: Durchschnittlich werden in Deutschland 260 Euro im Monat für die Medikation von Epilepsiepatient*innen ausgegeben. In einem Spezialzentrum wie am UKB kann dies etwas mehr sein, weil wir viele moderne Medikamente einsetzen. Im Falle von Cannabidiol würde man bei einem Erwachsenen durchschnittlichen Gewichts monatlich 3.000 bis 3.500 Euro ansetzen müssen. Das ist mehr als das zehnfache der sonst üblichen Kosten und hätte vielleicht den Effekt, dass sich bei Patient*innen mit vielen Anfällen pro Monat die Zahl der Stürze halbiert. Die Höhe der Kosten wird sich wohl mit der Zeit ein Stück weit verändern – so ist in Deutschland der Preis mittlerweile ca. zehn Prozent niedriger als zur Einführung. Da es aber auch notwendig ist, Cannabidiol behutsam zu dosieren, und es so pro Patient*in ca. vier bis sechs Monate dauern kann, bis sich eine Wirksamkeit zeigt, gibt es je nach Krankenkasse sehr harte Eintrittskriterien.

Und wie steht es um die Verträglichkeit?

Dr. von Wrede: Der Ruf der besseren Verträglichkeit gegenüber synthetischen Medikamenten kommt vor allem daher, dass der Wirkstoff CBD von der Hanfpflanze stammt und pflanzliche Präparate im allgemeinen Verständnis mit Natürlichkeit und entsprechend besserer Verträglichkeit gleichgesetzt werden. Das CBD, welches in Studien untersucht und angewendet wird, kann man aber auch synthetisch herstellen. Paradox ist, dass das pflanzliche und das synthetische Medikament eigentlich die gleichen Nebenwirkungen haben, die Nebenwirkungen bei dem pflanzlichen Medikament aber eher akzeptiert werden, als bei dem synthetischen.

Prof. Surges: Als Nebenwirkungen werden u.a. Durchfall und Schläfrigkeit berichtet. Der Durchfall beruht wahrscheinlich auch auf der Darreichungsform als Öl. Zudem ist die Ölform für die Patient*innen teilweise unangenehm einzunehmen und ungewohnt in der Handhabung.

Wie ist es um die Wirksamkeit bestellt?

Dr. von Wrede: In den Zulassungsstudien konnte belegt werden, dass bei schwerstbehandelbaren Epilepsien, wie z. B. dem Dravet-Syndrom die krampfartigen Anfälle um 40 bis 50 Prozent reduziert werden, für Sturzanfälle beim Lennox-Gastaut Syndrom zeigte sich die Reduktion von ca. 40 Prozent. Der Erfolg ist dosisabhängig, ebenso wie die Nebenwirkungen. Nebenwirkungen geben über alle Studien hinweg ungefähr 90 Prozent der Patient*innen an, meist werden diese jedoch nur als milde oder moderat eingestuft. Schwerwiegende Nebenwirkungen berichten etwa 20 Prozent der Patient*innen, aber abgesetzt haben es nur wenige. Was unisono in den Studien erfasst wird, ist die Zufriedenheit mit der Entwicklung, sowohl aus Sicht der Patient*innen, als auch aus Sicht ihrer Betreuer*innen. Es hat den Anschein, dass das Medikament doch eine positive Wirkung hinsichtlich der Aufmerksamkeit der Patient*innen hat, so als würde das Medikament einen positiven Effekt auf die Frontalhirnfunktion ausüben. Dies wurde bei Tieren schon bestätigt, ist aber am Menschen nicht ausreichend erfasst und untersucht worden. Da wäre weitere Forschung sinnvoll.

Was ist von frei verfügbaren, nicht-apothekenpflichtigen CBD- Präparaten zu halten?
Dr. von Wrede: In Bezug auf die Anfallskontrolle kann man sich für das gleiche Geld auch eine gute Tafel Schokolade kaufen. Die Anwendung von drei Tropfen fünfprozentigem CBD-Öl, die zur Einnahme bei den freiverkäuflichen Mitteln empfohlen wird, liegt unterhalb der in Studien belegten wirksamen Substanzdosen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen frei verfügbaren und rezeptpflichtigen CBD-Produkten ist der, dass bei Letzteren auch nur das drin ist, was draufsteht. Bei den nichtrezeptpflichtigen Mitteln wurden immer wieder auch Begleitsubstanzen, beispielsweise THC (Tetrahydrocannabinol), festgestellt. Außerdem raten wir von den rezeptfreien CBD-Ölen ab, da diese auch bei geringer Dosierung schon Stoffwechselveränderungen erzeugen können. Eine Effektivität zur Epilepsiebehandlung ist nicht belegt, man riskiert demgegenüber aber eine Reaktion mit anderen Substanzen, die man rezeptpflichtig einnimmt.

Was sagen Sie den Patient*innen, die all ihre Hoffnung auf Cannabidiol gesetzt haben und nun enttäuscht sind?
Prof. Surges: Welche Medikamente hilfreich sind, hängt von der individuellen Krankheitsgeschichte ab. Wie schwer ist die Erkrankung, befindet die*der Patient*in sich noch am Anfang der Erkrankung, in der Mitte oder hat sie*er schon eine sehr lange Geschichte? Für die meisten gibt es angemessene und wirksame Alternativen zu Cannabidiol. Mit den derzeit erhältlichen Medikamenten können bis zu 70 Prozent aller Betroffenen ohne größere Nebenwirkungen anfallsfrei leben. Für eine optimale, individuelle Versorgung suchen wir fortwährend nach Substanzen, die andere Wirkweisen haben und gleichzeitig gut kombinierbar sind. Es ist eine wichtige Aufgabe in unserer Epilepsieambulanz, Patient*innen darüber aufzuklären, welche Medikamente und Wirkstoffe in ihrem Fall wirklich sinnvoll sind und ob eine Kostenübernahme realistisch ist.

 

Kurzbeschreibung Expert*in

Universitätsprofessor Dr. med. Rainer Surges ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Epileptologie am Universitätsklinikum Bonn (UKB). Seine Arbeitsgruppe beschäftigt sich wissenschaftlich u.a. mit Aspekten der automatisierten Anfallserfassung, Störungen des autonomen Nervensystems und Identifikation der Anfallsherde bei fokalen Epilepsien.

Dr. med. Randi von Wrede ist geschäftsführende Oberärztin der Klinik und Poliklinik für Epileptologie am Universitätsklinikum Bonn (UKB) und beschäftigt sich als Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Komplementäre Therapieverfahren mit neuen Behandlungs- und Interventionsmöglichkeiten für Menschen mit Epilepsie. Sie ist Autorin mehrerer wissenschaftlicher Artikel, die sich mit Cannabis und Cannabidiol in der Epilepsiebehandlung beschäftigen.

 

Zum Universitätsklinikum Bonn: Am UKB werden pro Jahr über 400.000 Patienten*innen betreut, es sind über 8.000 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt über 1 Mrd. Euro. Neben den über 3.000 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr über 500 junge Menschen in anderen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht im Wissenschafts-Ranking auf Platz 1 unter den Universitätsklinika in NRW, weist den dritthöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf und hatte 2019 das wirtschaftlich erfolgreichste Jahresergebnis aller 35 deutschen UKs und die einzige positive Jahres-Bilanz der UKs in NRW.

 

 

 

Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn (UKB)/J. F. Saba