Wie das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie Gesetze und Leitlinien für einen sicheren Krankenhausaufenthalt ergänzt

Dr. Adrian Bauer, Leiter der Kardiotechnik im MEDICLIN Herzzentrum Coswig

Coswig, 09.03.2023. Wer intensivmedizinische Betreuung benötigt, bekommt diese in Deutschland von dafür qualifizierten Fachkräften und im OP arbeitet speziell dafür ausgebildetes Personal – davon gehen wir aus. Doch ist das tatsächlich der Fall und wie können Kliniken selbst ihre Qualität erhöhen und die Patientensicherheit verbessern?

Neben Gesetzen sowie Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) definieren in der Medizin auch Leitlinien und Positionspapiere, wie zum Beispiel eine Fachabteilung aufgebaut sein muss. Die Basisanforderungen einer Fachabteilung für Herzchirurgie formuliert etwa die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DTHG) in regelmäßigen Abständen neu.

Wann ist eine Abteilung für Herzchirurgie wirklich eine Abteilung für Herzchirurgie?

„Aufgrund der stetigen Weiterentwicklung in der Medizin reichen die Beschlüsse des G-BA und die Gesetze für aktuelle und eindeutige Definitionen nicht mehr aus“, sagt Dr. Adrian Bauer, Leiter der Kardiotechnik im MEDICLIN Herzzentrum Coswig. Er arbeitete als Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Kardiotechnik aktiv am aktuellen Positionspapier mit. „Basisanforderungen entstehen als eine Art Selbstregulation: medizinisch Tätige beschreiben Anforderungen, die sie selbst erfüllen müssen.“ Ein praktisches Beispiel: So regelt ein Beschluss des G-BA, dass ein Krankenhaus eine herzchirurgische Abteilung vorweisen muss, um eine sogenannte TAVI (Transkatheter-Aortenklappen-Implantation: minimalinvasives Verfahren zum Aortenklappenersatz) durchführen zu dürfen.

Was aber ist eine Abteilung für Herzchirurgie überhaupt? Das wiederum beschreiben und regeln die Basisanforderungen. Inhaltlich werden diese durch die klinisch tätigen Ärzt*innen und medizinischen Mitarbeiter*innen erarbeitet und somit definiert. Hier heißt es: „Eine Ausweisung von kardiochirurgischen Betten in Kliniken kann nur erfolgen, wenn die Basisanforderungen einer Fachabteilung für Herzchirurgie erfüllt werden.“ So soll unter anderem verhindert werden, dass kooperierende und räumlich getrennte Standorte, die die Kriterien nicht vollumfänglich erfüllen, Patienten kardiochirurgisch behandeln dürfen. „Das ist gelebte Patientensicherheit“, sagt Bauer.

Die Basisanforderungen stellen personelle, strukturelle und technische Anforderungen an herzchirurgische Abteilungen zusammen und können in die vom G-BA herausgegebenen Richtlinien sowie Gesetze einfließen. 2013 wurden die Basisanforderungen für herzchirurgische Abteilungen zuletzt angepasst. Seitdem ist viel passiert. Zu den 2022 angepassten Punkten gehören u. a.:

  • Die Mindestanzahl an Betten in einer herzchirurgischen Normalstation steigt von mindestens 20 auf mindestens 28 bis 30. Für jedes dieser Betten soll ein Überwachungssystem für Sauerstoff, EKG und Blutdruck vorgesehen sein.
  • Hybrid-Operationssäle, in denen Ärzt*innen bei Eingriffen an Herz- und Gefäßsystemen gleichzeitig operieren und diagnostizieren können, gehören inzwischen zum Standard einer herzchirurgischen Abteilung.
  • Ambulantisierung: Der Vorteil von Ambulanzsprechstunden der Herzchirurgen: Patientinnen lernen hier schon ihre/n Operateur*in kennen, das schafft Vertrauen.
  • Ein internes Qualitätsmanagement sollte für jede Fachabteilung Herzchirurgie eingerichtet werden. Zu dem Qualitätsmanagementsystem zählen beispielsweise ein internes Qualitätsmanagement-Handbuch sowie standardisierte Arbeitsanweisungen und Vorgaben zu Komplikationskonferenzen.

„Vieles davon war natürlich auch vorher schon vorhanden und etabliert. Jetzt steht es allerdings in den Anforderungen und wird dadurch weiter verfestigt“, sagt Bauer. Die individuelle Ausführung von Standards müssen die Kliniken vor Ort nämlich selbst regeln.

Mindestanforderungen werden definiert

„Die Basis-Anforderungen schaffen Klarheit zur Struktur von herzchirurgischen Fachabteilungen“, erläutert Bauer die Hintergründe des Positionspapieres. „Sie helfen somit, die Behandlungsqualität ständig zu verbessern und weiter sicherzustellen.“ Dabei sind die Anforderungen als Mindestanforderungen zu verstehen. Spezielle Fachgebiete der Herzchirurgie, z. B. Organtransplantationen oder die Behandlung angeborener Herzfehler, stellen weitere Anforderungen an Infrastruktur, Personal und an die internen Prozesse.

Interdisziplinäres Arbeiten wird immer wichtiger

Seit Jahren gibt es einen Trend hin zur interventionellen Kardiologie, dabei ist die Zusammenarbeit von Herzchirurgie, Kardiotechnik, Kardiologie und Anästhesiologie immer intensiver geworden. In vielen Kliniken gibt es sogenannte Herzteams aus Mediziner*innen der einzelnen Fachbereiche so auch im MEDICLIN Herzzentrum Coswig. Dieser Trend muss sich natürlich in den Basisanforderungen wiederfinden. Des Weiteren werden in den Basisanforderungen die Qualifikationen und Teamgrößen des Personals gesetzt. „Außerdem wird festgelegt, wie viel Personal oder welche Apparate vor Ort sein müssen. So ist eine sofort einsatzbereite Herz-Lungen-Maschine sowie ein dafür ausgebildeter Perfusionist als Backup ein Muss“, erklärt Bauer.

Zukünftig weniger Herz-OPs?

Die Herzmedizin entwickelt sich stetig weiter. Es gibt zunehmend mehr interventionelle Verfahren und neue Pharmakotherapien und operativ-interventionelle Hybridverfahren ermöglichen es in einigen Fällen die OP zu ersetzen. Anders als in den Basisanforderungen der Herzchirurgie vermutet, geht Bauer aber nicht von einem Rückgang der Herz-OPs aus. „Die Bevölkerungspyramide zeigt, dass es aktuell und in naher Zukunft eine große Gruppe an Menschen im Alter zwischen 70 und 79 gibt. Das ist wichtig, weil ein Drittel aller herzchirurgischen Operationen in diesen Lebensjahren stattfindet. Das heißt, es gibt potenziell mehr Patienten, aber gleichzeitig viele neue Verfahren, durch die sich eine Herz-OP vermeiden lässt. Wahrscheinlich gleichen sich diese Faktoren daher gegenseitig aus.“

Anforderungen aktuell halten und ggf. Gesetze und Richtlinien erweitern

Wie häufig die Anforderungen angepasst werden, ist abhängig von den Entwicklungen der Herzchirurgie. In den Vorständen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften wird darüber entschieden, wann die Anpassung stattfindet. In der Regel werden die Papiere alle zehn Jahre erneuert. „Leitlinien werden übrigens alle fünf Jahre erneuert, aber auch sie sind nicht bindend. Sie können, genau wie die Basisanforderungen, aber in Gesetz oder Richtlinie (G-BA) aufgenommen werden, was sie dann bindend macht“, sagt Bauer. „Es kann auch vorkommen, dass Krankenkassen sich auf die Anforderungen berufen und bestimmte Leistungen nicht mehr bezahlen, wenn die Standards und Leitlinien nicht eingehalten werden – dadurch werden sie ebenfalls bindend“, erklärt Bauer.

„Die Fachgesellschaften und klinisch Tätigen sehen sich dabei als Anwalt der Patienten und setzen daher gewisse Qualitätsstandards, die dann nicht unterlaufen werden sollten“, erklärt Bauer.

 

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Judith Boateng

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Über das MEDICLIN Herzzentrum Coswig
Das MEDICLIN Herzzentrum Coswig ist ein interdisziplinäres Zentrum für kardiovaskuläre Medizin. Unter einem Dach vereint das Herzzentrum die Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie, die Klinik für Kardiologie und Angiologie sowie die Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Die im Jahre 1998 eröffnete Klinik verfügt über 113 Betten und beschäftigt rund 325 Mitarbeiter*innen.