Kein wirksames Schutzkonzept für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder andere vulnerable Gruppen, keine psychiatrische Begutachtung der Willensfreiheit – der Mitte Juni vorgestellte neue fraktionsübergreifende Gesetzesentwurf zur Suizidbeihilfe ist aus Sicht der DGPPN unzureichend und gefährdet das Leben psychisch erkrankter Menschen.

Im Jahr 2021 kamen 9200 Personen in Deutschland durch Suizid zu Tode, die meisten davon im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung. Eine psychiatrische, suizidpräventive Behandlung hätte, wie Studien zeigen, viele dieser Menschen retten können. Die meisten von ihnen waren aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung nicht in der Lage, die Entscheidung über ihren Suizid frei und selbstbestimmt zu treffen.

Der neu vorgestellte Gesetzesentwurf von Helling-Plahr et al. bietet dieser Gruppe keinen ausreichenden Schutz. Zwar sieht er vor, dass bei der Beratung, die dem Suizid vorausgehen muss, und auch bei der Verschreibung des todbringenden Präparats der freie Willen der Betroffenen vorliegen müsse – es bleibt aber gänzlich ungeregelt, wie dies zu beurteilen ist. Wurde die Entscheidung tatsächlich frei getroffen oder war die Selbstbestimmungsfähigkeit nicht doch durch eine psychische Erkrankung beeinträchtigt? Um diese Frage fundiert zu beurteilen, ist die Expertise von Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie notwendig. Der Entwurf sieht ihre Einbindung nicht vor. Ganz im Gegenteil macht er keinerlei Vorgaben zu Ausbildung oder Expertise der Beratenden.

Ein weiterer Kritikpunkt der DGPPN: Dem vorliegenden Entwurf zufolge würde ein und derselbe Arzt die Willensfreiheit der Person beurteilen und über die Verschreibung des Präparats entscheiden. Die Begutachtung der Selbstbestimmungsfähigkeit und die Suizidbeihilfe werden also nicht von unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Personen durchgeführt. Einer Entscheidung über Leben und Tod wird dies nicht gerecht.

Der Entwurf lässt zudem offen, woher Ressourcen und Personal für die einzurichtenden Beratungsstellen kommen sollen. Die Mitarbeitenden sollen vermerken, wenn während der Beratung Zweifel am freien Willen der Entscheidung aufkommen, aber es ist nicht sichergestellt, dass sie überhaupt über die nötige Kompetenz verfügen, das zu beurteilen. Und wenn sie denn Zweifel an der selbstbestimmten Entscheidung haben, sollen sie diese einfach auf dem Beratungsschein vermerken. Hilfe und Behandlung werden dem Menschen nicht angeboten.

„Wer akut suizidal ist, muss zunächst im Gesundheitssystem versorgt werden. Eine ergebnisoffene Beratung durch Menschen mit unklarer Expertise vermeidet Suizide nicht, sondern befördert sie“, stellt Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) klar. Die Fachgesellschaft forderte deshalb schon im vergangenen Jahr in einem Eckpunktepapier, dass Personen, die Suizidassistenz suchen, deren Selbstbestimmungsfähigkeit aber in Frage steht, unbedingt nahtlos Unterstützung finden müssen. Der aktuelle Entwurf für eine Neuregelung der Suizidassistenz macht keine entsprechenden Vorgaben. Andreas Meyer-Lindenberg: „Der vorliegende Gesetzesentwurf gewichtet das Recht auf Sterben höher als das Recht psychisch erkrankter Menschen, ihre Erkrankung zu überleben. Es schützt Menschen, deren Selbstbestimmung aufgrund einer psychischen Erkrankung eingeschränkt ist, nicht ausreichend vor einem irreversiblen Schritt wie dem Suizid. Ein solches Gesetzesvorhaben kann die DGPPN keinesfalls unterstützen.“

Weitere Informationen

DGPPN-Eckpunkte für eine Neuregelung der Suizidassistenz
Video-Aufzeichnung des DGPPN-Hauptstadtsymposiums „Suizidbeihilfe neu regeln“
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