Vatersein im Wandel – aber wie?

 WEISSENAU (ZfP) – Was bedeutet Vatersein eigentlich in der Praxis? Welche alten und neuen Aufgaben müssen Väter bewältigen? Und welche Effekte darauf hat die Coronavirus-Krise? Um diese und weitere Fragen drehte sich das jüngste Vätertreffen des ZfP Südwürttemberg am Standort Weissenau.

 Eingeladen zum Vätertreffen war neben allen interessierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ZfP Südwürttemberg dieses Mal der Soziologe Andreas Lange. Der Professor der Hochschule Ravensburg-Weingarten sprach über „Die angekratzte Familie – Väter und ihre aktuellen Aufgaben.“ Entlang mehrerer Thesen entwarf er ein Bild der Familie von heute, welches zwischen spätmoderner Struktur und postmoderner Offenheit changiert und vielfältige Vater-Typen umfasst: vom traditionell-distanzierten „Familienoberhaupt“ über den unsicheren Typus bis hin zur partnerschaftlichen Vaterfigur.

 Familie als buntes, schräges Wimmelbild

Das spätmoderne Bild der Familie hat Lange zufolge Kratzer bekommen, der Lack an manchen Stellen ist ab, teils wurde es übertüncht – etwa mit transnationalen und regenbogenfarbenen Kombinationen. Entstanden sei ein „Wimmelbild“, in dem es gilt, die eigene Familie aktiv zu gestalten, und in dem sich auch die Anforderungen an den Vater verändern: Jede und jeder muss entscheiden, welche Art der Gemeinschaft die Familie sein soll. Haltgebende Strukturen verlieren zunehmend an Wirksamkeit.

 Davon ausgehend lautete eine von Langes Thesen: „Es lassen sich durchaus Indizien für eine verstärkte Beteiligung der Väter am Familienalltag aufführen. Es wird aber auch deutlich, dass einer noch stärkeren Beteiligung vor allem die Dominanz der Erwerbswelt entgegensteht.“ Der Zwang zum Geld verdienen steht den Vätern also im Weg, wenn es darum geht, mehr Zeit und Energie ins „Doing Family“ zu investieren. Der Verzicht auf Arbeitszeit bleibt auch heute zumeist den Müttern überlassen: 90 Prozent der Väter sind erwerbstätig, kaum einer geht dem Nachwuchs geschuldet in Teilzeit. Zwar kümmern sich Väter heute stärker um die Kinder – Waschen, Kochen, Putzen ist in der Regel aber immer noch Frauensache.

 Und auch wenn man als kinderloses Paar für die Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Lebensbereichen war, gilt: „Entgegen einer Rhetorik der Modernisierung in der familialen Arbeitsteilung wirkt vor allem die Geburt des ersten Kindes, die zu einer fulminanten Retraditionalisierung der Arbeitsteilung führt.“ Soziologe Lange führte aus, dass diese traditionelle Praxis der Arbeitsteilung erstaunlich stabil ist, ersichtlich etwa an folgenden Zahlen: „Frauen haben in Deutschland zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes durchschnittlich 61 Prozent weniger Einkommen.“ Unterstützt werde dies auf kultureller Ebene durch ein traditionelles Bild von Männlichkeit, welches weiterhin dominiert, auch wenn es im Alltag eher ins gesellschaftliche Backstage verlagert wird. Der „freie“ Mann hier, der „gebundene“ Familienvater dort – ein nach wie vor gültiges Klischee, als dessen Kipppunkt zumeist die Eheschließung gilt.

 Mehr Engagement und Konflikte in der Pandemie

Weniger eindeutig sind Lange zufolge die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die Familie im Allgemeinen und das Vatersein im Speziellen: Männer beteiligten sich zwar tendenziell stärker an der Kinderbetreuung, allerdings stieg auch die schon ohnehin hohe Beteiligung der Mütter. Lange: „Sowohl Mütter als auch Väter empfanden erhöhte Work-to-Family-Konflikte und vice versa, insbesondere dann, wenn man nicht täglich, sondern abwechselnd im Homeoffice war. Das gilt vor allem dann, wenn Homeoffice als Mehrarbeit erfolgte.“

 Abschließend warf Prof. Dr. Andreas Lange noch einen Blick in die soziologische Glaskugel. Hinsichtlich einer paritätisch geteilten Elternschaft, welche die gemeinsame Zuständigkeit und Verantwortung für Kinder und Hausarbeit bedeutet, sagte er: „Intensive Episoden des väterlichen Kümmerns und Sich-Einlassens auf das kleine Kind können langfristig positive Auswirkungen auf die gesamte Familie haben. Gelingt es Männern nämlich, sich ihren als bedrohlich erlebten Gefühlen des Vaterseins zu stellen und sie in ihr Erleben und ihr Selbstbild zu integrieren, so kann das ein Impuls zur Aufweichung gesellschaftlicher Geschlechterbilder sein: Liebevolle Bezogenheit, sich auch schwach und weich zeigen zu können, Empathie sowie Fürsorglichkeit können dann zu Elementen einer sozial akzeptierten Männlichkeit werden.“

 Zum Vätertreffen lädt die Regionaldirektion gemeinsam mit Carmen Kremer, der Gleichstellungsbeauftragten des ZfP Südwürttemberg, regelmäßig ein. Prof. Dr. Juan Valdés-Stauber, Regionaldirektor und Ärztlicher Leiter der Klinik II – Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Neurologie, gab zu Beginn eine kurze Einführung ins Thema. Martin Holzke, Pflegerischer Leiter der Klinik I – Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, ergänzte die Veranstaltung um Audio-Beiträge von ZfP-Auszubildenden. Mit einem spannenden Erfahrungsaustausch zwischen allen Teilnehmenden endete die Veranstaltung.

 

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